(ots) - Deutschlands "Top 10" der guten Vorsätze für
2015 lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen will der
Bürger mehr Zeit für sich und seine sozialen Kontakte, also Freunde
treffen, bei der Familie sein, weniger fernsehen und online sein. Zum
anderen will er gesünder leben, also Stress vermeiden, mehr Sport
machen, abnehmen, weniger Alkohol. Gemeinsam sind diesen Vorsätzen
eine gewisse Selbstbezogenheit und die Tatsache, dass deren Umsetzung
nicht gerade superschwer ist. Dennoch werden die meisten scheitern.
Stellt man sich Deutschland als Menschen vor, was wäre er angesichts
solcher Vorhaben für ein Typ? Möchte man sich mit ihm identifizieren?
Er sieht seinen Zeit- und Bewegungsmangel als Hauptproblem, verbunden
mit einem Übermaß von Nahrungs- und Unterhaltungskonsum. Das kommt
reichlich oberflächlich daher. Für die Probleme anderer scheint da
nicht viel Raum zu bleiben im Lebensentwurf dieser Person. Empathie,
das Einfühlungsvermögen in andere Menschen? Fehlanzeige! Ganz zu
schweigen von Zivilcourage, wenn man einschreiten müsste gegen jene,
die andere belästigen oder ungerecht behandeln, die gewalttätig
werden, die intolerant und hasserfüllt sind. Kann sein, dass
Deutschland aus einem internationalen Blickwinkel heraus durchaus so
gesehen wird: Strebsam, diszipliniert, zum Selbstmitleid neigend,
bisweilen ein wenig feige. Wenn es heikel wird, schaut man lieber
weg. Die Deutschen sind mehr mit sich selbst beschäftigt. Gute
Ratschläge werden gern gegeben, aber lieber aus sicherer Distanz. Und
wenn sie sich dann etwas wünschen dürfen, dann wünschen sie sich Zeit
und Gesundheit. Aber auch das meinen sie nicht wirklich ernst, denn
sie werden weitermachen wie bisher. Zumindest fast, denn immerhin ist
von den neu im Arbeitsleben ankommenden Deutschen vermehrt die
Forderung nach einer vernünftigen Zeitbalance zwischen Privatleben
und Job zu vernehmen. Zurück zu den guten Vorsätzen für 2015: Keine
Spur von Zivilcourage, Toleranz und Empathie; oder etwas mehr
Besonnenheit vor dem Hintergrund all der Aufgeregtheiten, die
geschäftige Betroffenheitsfanatiker Tag für Tag formulieren. Dabei
hat uns das abgelaufene Jahr reichlich Anschauungsunterricht gegeben.
Allen voran der Fall Tugçe. Die junge Frau wollte in Offenbach zwei
Mädchen vor Nachstellungen schützen. Sie wurde geschlagen, stürzte
und starb. Am Ende war das ganze Land einig: Es war richtig, das sie
sich eingemischt hat. Keiner sagte laut, dass sie sich doch lieber
heraushalten hätte sollen. Ähnliche, wenn auch Gott sei Dank nicht
solch folgenreiche Beispiele geben all diejenigen, die sich Neonazis
in den Weg stellen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für
Gastfreundschaft einsetzen. Und nicht zuletzt diejenigen, die sich
für das Schicksal anderer Menschen interessieren und helfen wollen.
Meist dauert es etwas länger, bis sich Dinge in der Gesellschaft
ändern. Wer sich nicht einschüchtern lässt, wer offen gegen scheinbar
übermächtige Gegner für eine Sache kämpft, verliert zwar oft die
erste Runde. Aber langfristig macht sich der Einsatz bezahlt. Viele
heute selbstverständliche Errungenschaften gerade in Deutschland sind
auf den Mut von Veränderungspionieren zurückzuführen, die zu ihrer
Zeit noch als verblendet oder verirrt abgestempelt waren. Wir dürfen
also darauf hoffen, dass Eigenschaften, wie sie Tugçe hatte, wie sie
zahllose engagierte und mutige Bürger haben, künftig in den "Top 10"
der guten Vorsätze landen. Es würde uns gut tun, mehr Verantwortung
zu übernehmen, mutig statt feige zu sein. Und die Identifikation mit
dieser "Person" Deutschland fiele uns leichter.
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