(ots) - Es gibt zu viele Flüchtlinge, sagen die
Menschen. Es gibt zu wenig Menschen, sagen die Flüchtlinge. Der
österreichische Aphoristiker Ernst Ferstl macht, ohne die
vorgeblichen Anti-Islamisierungs-Demonstrationen in Deutschland zu
kennen, darauf aufmerksam, wie wichtig der eigene Standpunkt und der
jeweilige Blickwinkel sind. Die aus vielerlei diffusen Ängsten
gespeiste Pegida-Bewegung breitet sich aus. Auch außerhalb von
Sachsen formieren sich Ableger der Dresdner Antiflüchtlings-Kampagne.
Allerdings würden nur 13 Prozent der Deutschen bei Pegida oder
ähnlichen Demonstrationen mitmarschieren. Also nur eine zu
vernachlässigende Minderheit, die von der Mehrheitsdemokratie
auszuhalten ist? Ja und Nein. Dass über zwei Drittel der Deutschen
die Gefahr einer Islamisierung für völlig übertrieben halten,
relativiert den wirklichen Umfang von Pegida und Co. wohltuend. Die
Medien, in Dresden als "Lügenpresse" geschmäht und anderswo sogar
tätlich angegriffen, verleihen den Das-Boot-ist-voll-Demonstranten
eine übergroße Aufmerksamkeit, auch über Deutschland hinaus. Dass
Menschen glauben, gegen die Asylpolitik und -praxis hierzulande auf
die Straße gehen zu müssen, ist ihr gutes Recht. Doch etwas weniger
Aufregung und etwas mehr Gelassenheit gegenüber Pegida wäre
angebrachter als die jetzige aufgeregte Skandalisierung und das
ängstliche Zählen der Teilnehmer der fremdenfeindlichen Aktionen. Vor
diesem Hintergrund ist es gut und richtig, dass sich die Spitzen der
Politik, von Joachim Gauck bis Angela Merkel, klar von den Islam- und
Flüchtlingsfeinden abgrenzen. Wer Menschen in höchster Not auf der
Flucht vor Krieg, Hunger, Versklavung, Vergewaltigung und Tod die
Aufnahme im eigenen Land verweigert, der hat schlicht kein Herz. Und
wenn aus Herzlosigkeit Hass wird, dann wird es brandgefährlich.
Dieser Hass frisst den Verstand, zehrt das Mitgefühl auf. Freilich
reicht es nicht aus, die "Pegidas" lediglich moralisch zu
brandmarken. Die Aufklärung, was Flüchtlinge und Zuwanderer für unser
Land, etwa für unsere Renten- und Krankenkassen bedeuten, aber auch
was jenen droht, die unser Asyl missbrauchen, muss weitergehen.
Selbst wenn manch einer seine Ohren und sein Herz verschließt und auf
der Straße nur Frust ablassen will. Das sympathische Gegenmotto
lautet: Willkommen im Abendland! Gegen die "Idiotisierung" ist ein
Kraut gewachsen. Die klare Kante gegen die Islam- und
Flüchtlingsphobie, die Merkel jetzt zeigt, trifft quer durch die
Parteien auf große Zustimmung. Von den Rechtspopulisten in der
Alternative für Deutschland, von Gauland und Co. einmal abgesehen.
Die sehen Pegida eher als eine Art Blutzufuhr und hoffen auf
Wählerstimmen für ihren Dagegen-Verein aus dem Heer der
Unzufriedenen. Doch das ist selbst in der AfD nicht unumstritten.
Doch auch innerhalb der Union ist Merkels klare Grenzziehung
gegenüber Pegida nicht völlig ungeteilt. Der ein oder andere
liebäugelt mit den Antiflüchtlings-Demonstrationen, weil sich deren
Stimmungen vielleicht doch in Stimmen für die eigene Partei ummünzen
lassen. Allerdings sind es zwei Paar Schuhe: Verständnis zu haben für
die Sorgen und Fragen von Menschen zu den Themen Flüchtlingsaufnahme
und Islam sowie in den Dialog darüber einzutreten, ist das eine.
Menschenfeindlichen Parolen hinterherzulaufen, das andere. Diese
klare Unterscheidung droht manchmal zu verwischen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de