(ots) - Mehr als 200 000 Menschen mussten vor fünf
Jahren bei dem Erdbeben der Stärke 7,0 auf Haiti sterben, weil sie
arm waren. Weit stärkere Beben danach in Chile (Wert 8,8) und 2011 in
Japan (9,0) forderten deutlich weniger Todesopfer, weil dort besser
gebaut und Vorsorge getroffen wird. Das Schlimme: Sollte es in Haiti
wieder ein Beben von »nur« 7,0 Punkten geben, dürfte die Opferzahl
kaum geringer sein. Und das, obwohl Hilfsorganisationen Gigantisches
geleistet haben. Haiti war vor dem Beben bitterarm, die Masse der
knapp zehn Millionen Bürger lebt fünf Jahre später immer noch in
extrem prekären Verhältnissen. Dennoch kommen Experten zu dem Fazit,
dass es vielen heute vergleichsweise besser geht. Die Hilfe im
Kleinen vor Ort ist gelungen, die notwendige Entwicklung im Großen
dagegen gescheitert. Wo Straßen repariert, Häuser erdbeben- und
tornadofest gebaut und lokale Märkte wieder in Gang gesetzt wurden,
ist alles gut. Aber die überregionalen Strukturen, die Verwaltung und
die politische Führung sind und bleiben eine Riesenenttäuschung. Bis
heute fehlen richtungsweisende Entscheidungen und deren Durchsetzung.
Der Neuanfang wurde nicht genutzt, um ein staatliches Schulwesen
unter Einbeziehung tausender Angebote von außen aufzubauen. Es gibt
keine Energienetze, sondern nur Insellösungen mit teuren
Dieselaggregaten statt Solar- und Windnutzung. Armut, Analphabetentum
und Wut auf Korruption und Ungleichheit, wohin der kleine Mann auch
schaut, verhindern die Entwicklung einer Zivilgesellschaft. Ganz
praktisch: Es gibt weder eine Freiwillige Feuerwehr noch soziale
Selbsthilfestrukturen oder geordnete Müllentsorgung. Hungerrevolten,
Kriminalität, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und das Raubrittertum der
schmalen Oberschicht verhindern den nationalen Neuaufbau eines
Landes, das unter französischer Kolonialherrschaft das reichste ganz
Amerikas gewesen ist. Ohne das Wirken der internationalen
Hilfsorganisationen, die den haitianischen Staat mit dem Entzug der
Katastrophenhilfe zum Handeln drängen, gäbe es gar keine Hoffnung.
Weil fällige Parlaments- und Regionalwahlen vier Jahre verschleppt
wurden, wird Präsident Michel Martelly von heute an mit einer
Einheitsregierung und Dekreten arbeiten. Eine neue Diktatur zum
fünften Jahrestag der Katastrophe droht. Die Vereinten Nationen haben
bis heute keine Lösung für Fälle von Führungsversagen einzelner
Staaten gefunden. Deutschland weiß ebenfalls keine Antwort und
verhängte stattdessen 2013 ein Wirtschaftsembargo, um den Reformdruck
zu erhöhen. Nur vier von zwölf Milliarden Dollar an weltweit
zugesagter staatlicher Hilfe sind ausgezahlt. Neben anderen Ursachen
liegt das an der extremen Korruption auf höchster Ebene. Aus Sicht
der Steuerzahler in den Geberländern ist das richtig, aber für Haiti
Ausdruck einer anhaltenden Katastrophe.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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