(ots) - Es ist erschreckend, wie sehr wir uns an das
fragwürdige Finanzgebaren mancher Politiker gewöhnt haben. Schwarze
Kassen, dubiose Geldkoffer, anonyme Parteispender. Da scheint es
schon fast außergewöhnlich, dass nun ein Politiker vor Gericht steht
und sich verantworten muss, weil er die Sozialkassen betrogen haben
soll. Ihm droht eine Haftstrafe und sogar der Verlust seiner
Pensionsansprüche. Und das wegen einer Affäre, die fast schon wieder
vergessen schien: Die Verwandtenaffäre, für die Schmid nun
exemplarisch steht, beherrschte im Jahr 2013 zwar die Schlagzeilen,
führte aber trotzdem nicht zu einem kollektiven Aufschrei, schon gar
nicht zu einem Wahldebakel für die betroffenen Parteien. Ein paar
Erklärungen gibt es dafür. Zu einem waren es nicht ausschließlich
Politiker einer Partei, die die Schlupflöcher nutzten und ihre
eigenen Verwandten mit gut bezahlten Posten versorgten. Der
stammtischtheoretische Eindruck, "die Politiker" gleich welcher
Couleur seien doch eh alle allein auf den eigenen Vorteil bedacht,
schien bestätigt, draufhauen damit gleichermaßen berechtigt wie
sinnlos: klare Bestätigung aller Politik- und Demokratieverdrossenen.
Zum anderen fällt es abseits der vordergründigen Verurteilung der
Vorteilsnahme schwer, ein eindeutiges moralisches Urteil zu fällen.
Denn es ist zwar so, dass Politiker, wenn sie es erst einmal in den
Rang eines Abgeordneten, gar Landtagsfraktionsvorsitzenden geschafft
haben, sehr anständig verdienen können - mehr 20 000 Euro im Monat
waren es im Fall von Georg Schmid - aber: Bedeutet das, dass die
Arbeitszeit der involvierten Familienmitglieder damit ebenfalls
abgegolten sein muss? Mehr als 20 Jahre lang hat Gertrud Schmid ihren
Mann unterstützt, rund um die Uhr, sagt er, an sieben Tagen die
Woche, als "Chefsekretärin" und "Chefassistentin". Natürlich darf man
sich - zu recht - fragen, ob Schmid nicht außerhalb seiner Familie
eine ebenso engagierte und fähige Arbeitskraft hatte finden können.
Aber es wäre falsch, Gertrud Schmid und allen arbeitenden Verwandten
pauschal zu unterstellen, sie hätten die Steuerkassen geplündert: Sie
haben für ihr Geld und für das Funktionieren unseres politischen
Systems gearbeitet. Tief empfundene moralische Entrüstung fällt da
schwer, zumal die Beschäftigung enger Verwandter ja immerhin bis zum
Jahr 2000 vollkommen legal war. Empörung kann sich hingegen durchaus
an der Höhe der monatlichen Vergütungen - im Fall von Gertrud Schmid
waren es wohl 3500 bis 5500 Euro netto - entzünden. Und vor allem
daran, dass es einmal mehr die Politiker sind, die sich hier ihre
eigenen Regeln in einem Spiel machen, das uns alle betrifft. Das
besondere am Fall Georg Schmid ist, dass er diese Regeln noch
deutlich weiter ausgelegt zu haben scheint als die anderen. Im Raum
steht der Verdacht, dass er seine Frau als Scheinselbstständige
beschäftigt und so die Sozialkassen um mehrere hunderttausend Euro
betrogen hat. Herauszufinden, ob er das tatsächlich getan hat, ist
nun Aufgabe des Augsburger Amtsgerichtes, nicht mehr und nicht
weniger. Moral ist keine juristische Kategorie, so werden die
wesentlichen Fragen rund um dieses Arrangement hier nicht beantwortet
werden. Aber der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die Grenzen der
parlamentarischen Selbstkontrolle - und auf die Gefahren für unser
demokratisches Selbstverständnis. Es scheint unfair, dass Schmid in
diesem Prozess schon vor dem ersten Verhandlungstag verurteilt
schien, obwohl doch auch für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Der
Preis, den er zahlen muss, ist weit höher als die 450 000 Euro, die
er der Rentenversicherung als Wiedergutmachung überwiesen hat, weit
höher als der drohende Verlust seiner Pensionsansprüche: Sein Leben
und das seiner Frau ist aus der so erfolgversprechenden Bahn
geworfen. Wenn er nun aber die gesamte Affäre als vermeintlich
harmlosen "Fehler" herunterspielt, dann riskiert er auch noch das für
Politiker wichtigste Gut: seine Glaubwürdigkeit. Umso mehr müsste er
nun als Beispiel dafür aufstehen, dass Politiker sich nicht über
geltendes Recht erhaben fühlen. Das würde seinen Fall noch ein Stück
außergewöhnlicher machen.
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