(ots) - Nach Recherchen des ARD-Magazins "Report Mainz" und
des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hat die Rüstungsindustrie in
den vergangenen Jahren Einfluss auf die EU-Sicherheits- und
Forschungspolitik genommen. Die Konzerne beraten die EU-Kommission
unter anderem in technischen Fragen der Grenzüberwachung. Dies
erfolgte im Rahmen des so genannten Europäischen
Sicherheitsforschungsprogramms (ESFP). Durch das Programm flossen in
den vergangenen Jahren allein im Bereich der Grenzsicherung 210
Millionen Euro in die Erforschung und Erprobung neuer
Sicherheitstechnologien und -lösungen. Die Beratergruppen sollen im
Auftrag der EU-Kommission Prioritäten hierfür aufstellen. In
mehreren, zeitlich aufeinanderfolgenden, Beratergremien zum ESFP
hatten Vertreter der Sicherheitswirtschaft leitende Funktionen inne -
zum Beispiel als Vorsitzende oder Berichterstatter.
Auch im aktuellen Beratergremium der EU-Kommission für
Sicherheitsforschung finden sich zahlreiche Vertreter der Industrie.
Einige sind explizit als Interessensvertreter ausgewiesen. Doch
mehrere Personen, die als unabhängige Experten aufgeführt werden,
sind nach Recherchen von "Report Mainz" und "Spiegel" ebenso für die
Rüstungs- und Sicherheitsindustrie tätig, zum Beispiel als Berater
großer Konzerne.
Das Thema Grenzüberwachung wurde von den Beratergremien von Anfang
an als ein Schwerpunkt der EU-Sicherheitsforschung vorgeschlagen -
und daraufhin auch umgesetzt. Die Vorsitzenden der ehemaligen
Beratergruppe ESRAB waren Vertreter der Rüstungskonzerne EADS (heute
Airbus) und Thales. Beide bieten zahlreiche Produkte in diesem
Bereich an und erhielten auch selbst Forschungsgelder aus dem ESFP.
So koordinierte der Rüstungskonzern Thales gleich zu Beginn des
Programms eine Studie zu Bedrohungsszenarien in der EU und möglichen
Lösungsansätzen. Darin wurde auch die verstärkte Kontrolle der
EU-Außengrenzen und Einsatz von Überwachungstechnologie empfohlen.
Dies sind heute wesentliche Eckpunkte der EU-Sicherheitsstrategie.
Auch der französische Drohnenherstellers SAGEM erhielt als
Projektkoordinator Fördergelder aus dem ESFP-Topf. So durfte SAGEM
ein Konzept erarbeiten, ob und wie Drohnen zur Ãœberwachung der
EU-Außengrenzen eingesetzt werden können. Dabei ging es auch um
rechtliche und ethische Rahmenbedingungen. Im Abschlussbericht wird
ein Einsatz von Drohnen bejaht und Szenarien dafür vorgeschlagen.
Ebenso sind konkrete Produktempfehlungen enthalten. Gleichzeitig war
ein SAGEM-Mitarbeiter im Beratergremium des ESFP aktiv, das die
Prioritäten für die Forschung mitbestimmen soll.
Ein Mitglied des aktuellen Beratergremiums für das
Sicherheitsforschungsprogramm, Peter Burgess, sagte im Interview mit
"Report Mainz" und "Der Spiegel": "Unsere Gruppe wird von der
Industrie bestimmt. Sie werden als Experten angesehen. Die Industrie
gibt die Richtung vor und damit die Voraussetzung, um dann ein
Produkt anzubieten. Flüchtlinge werden als Objekte und Ziele
angesehen, die man erfassen will."
Ska Keller, migrationspolitische Sprecherin der Grünen im
EU-Parlament, äußert sich im Interview mit "Report Mainz" und "Der
Spiegel" ebenso kritisch: "Es wird niemals hinterfragt, ob wir all
die Satelliten, Drohnen und Sensoren wirklich brauchen. Die wichtigen
Entscheidungen fallen nicht im Parlament, sondern in den
Hinterzimmern - und die Industrie sitzt immer mit am Tisch."
Die Kommission sagte "Report Mainz" und "Spiegel" auf Anfrage, die
Beratergremien entschieden nicht über konkrete Themen der
Forschungspolitik. Für die letztendliche Auswahl seien die
Mitgliedstaaten und sie selbst zuständig. Interessenskonflikte würden
durch verschiedene Vorschriften vermieden. In diesen Vorschriften
heißt es, dass sich Mitglieder der Beratergremien selbst bei der
Kommission melden sollten, sobald sie im eigenen Fall einen
Interessenskonflikt sehen.
Weitere Informationen unter www.reportmainz.de. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Pressekontakt: "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.