(ots) -
Sperrfrist: 17.03.2015 06:05
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Trotz mehrerer Urteile des Bundessozialgerichts vom Sommer 2014
verweigert das Bundessozialministerium (BMAS) nach wie vor
erwachsenen Menschen mit Behinderung, die von Angehörigen betreut
werden, die volle Grundsicherung. Das geht aus einer aktuellen
Antwort des von Andrea Nahles (SPD) geführten Ministeriums an das
ARD-Politikmagazin "Report Mainz" des Südwestrundfunks hervor. Darin
heißt es, "dass das BMAS die Auffassung des Achten Senats (des
Bundessozialgerichtes) nicht teilt". Dies hat zur Folge, dass
Betroffene derzeit Monat für Monat auf rund 80 Euro verzichten
müssen. Für viele der schätzungsweise rund 40.000 betroffenen
Familien eine enorme Summe, da die betreuenden Angehörigen häufig
ihre Berufe nur eingeschränkt ausüben können oder sogar aufgeben
mussten.
Hintergrund ist eine vom Bundestag 2011 beschlossene
Gesetzesänderung und die Neugestaltung so genannter
Regelbedarfsstufen im Hartz-IV-System und in der Grundsicherung.
Diese hat zur Folge, dass Menschen mit Behinderung, die von
Angehörigen, vorwiegend Eltern, betreut werden, nur 80 Prozent der
Grundsicherung (voller Satz gegenwärtig 399 Euro) erhalten. Die
Sozialrechtlerin Prof. Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt,
ausgewiesene Kommentatorin der Sozialgesetzgebung, hält die seit vier
Jahren gültige Kürzung für einen verfassungswidrigen Zustand: "Ich
sehe in dieser gesetzlichen Regelung eine ganz klare Diskriminierung
von volljährigen Behinderten, von denen immer angenommen wird, dass
sie in keiner Weise zur Haushaltsführung beitragen können und die
gesetzliche Regelung versetzt sie auch in genau diese Situation, dass
sie das nicht können, weil sie haben das Geld ja nicht zur
Verfügung."
In diesem Sinn hat auch das Bundessozialgericht in Kassel im
Sommer 2014 entschieden. Die bisherige Kürzung, so die Richter in
drei Grundsatzurteilen (AZ: B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 31/12 R, B 8 SO
12/13 R) verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die
UN-Behindertenrechtskonvention. Folglich stehe Erwachsenen mit
Behinderung, die bei ihren Angehörigen leben, die volle
Grundsicherung zu.
Das Bundessozialministerium, das die Kosten übernehmen und den
Bundesländern entsprechende Anweisungen zur Auszahlung des vollen
Existenzminimums erteilen müsste, weigert sich bisher jedoch, die
Urteile umzusetzen. Begründet wird das unter anderem damit, dass die
Kosten des Haushaltes überwiegend von den Eltern oder Angehörigen der
erwachsenen Menschen mit Behinderung getragen würden. Hinter den
Kulissen, so haben Recherchen von "Report Mainz" außerdem ergeben,
fährt das Ministerium eine noch härtere Linie: Bei einer internen
Besprechung des Ministeriums mit den Ländern am 21. Januar 2015 im
BMAS wurden die Bundesländer angewiesen, die Urteile nicht
umzusetzen. Länder wie Hamburg, die dafür schon alles in die Wege
geleitet hatten, haben daraufhin die Umsetzung auf Eis gelegt.
Vor diesem Hintergrund wird das Vorgehen des BMAS aus den eigenen
Reihen der Koalition heftig kritisiert. Die ehemalige
SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, heute Vizepräsidentin
des Bundestages und Bundesvorsitzende der "Lebenshilfe", fordert eine
schnelle Umsetzung des Urteils. Dem ARD-Politikmagazin "Report Mainz"
sagte sie: "Was ich erwarte ist, dass das so zügig wie möglich geht
und dass das nicht auf die lange Bank geschoben wird, erst in ein
oder zwei Jahren, sondern, dass wir da von Seiten des Parlamentes
auch Druck machen." Auch der ehemalige Behindertenbeauftragte der
Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), sieht das BMAS und vor allem
Andrea Nahles jetzt in der Pflicht: "Da muss eigentlich auch die
Ministerin, Frau Nahles, eingreifen und sagen: 'So geht das nicht'.
Also da steht auch die Glaubwürdigkeit des Ministeriums auf dem
Spiel. Da muss die Ministerin ran", sagte er "Report Mainz".
Bundessozialministerin Andrea Nahles war zu keinem Interview mit
"Report Mainz" bereit. Aus einem Rundschreiben an die obersten
Landessozialbehörden vom 16. Februar 2015 geht hervor, dass das
Bundessozialministerium Ende März abschließend entscheiden will, wie
es mit den Urteilen des BSG umgeht. Am kommenden Mittwoch, 18. März
2015, wird das Thema zudem auf der Tagesordnung des Sozialausschusses
des Bundestages stehen.
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