PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Europa ist nicht der Euro / Die Gewalt in Frankfurt ist nicht entschuldbar

Mittelbayerische Zeitung: Europa ist nicht der Euro / Die Gewalt in Frankfurt ist nicht entschuldbar, aber der Protest weist auf ein massives Missverhältnis hin. Leitartikel von Christian Kucznierz

ID: 1188132

(ots) - Vorneweg: Es gibt nichts, was das Vorgehen der
Randalierer in Frankfurt rechtfertigt. Brennende Autos und
Barrikaden, Sachbeschädigungen, Angriffe auf Polizisten, die
Behinderung von Löscharbeiten sind das Ende der Protestkultur, nicht
eine weitere Eskalationsstufe. Zumal solche Aktionen diejenigen in
Misskredit bringen, die ihre ernst gemeinten Bedenken äußern möchten.
Denn es gibt Gründe, warum man die Europäische Zentralbank
kritisieren könnte. Oder die EU generell. Weil die Verantwortlichen
derzeit vergessen klar zu machen, dass sich Europa nicht auf den Euro
reduzieren lassen darf. Ja: Die Gemeinschaftswährung ist das Mittel,
mit dem die Europäische Union zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum
wurde, was der utopischen Idee der Vereinigten Staaten von Europa am
nächsten kommt. Daher ist die Panik verständlich, die Teile der
EU-Politik erfasst, wenn die Zukunft der Währungsunion und damit
möglicherweise die Zukunft der EU als Ganzes infrage gestellt wird.
Das Festhalten an Griechenland ist Ausdruck dessen. Doch geht es in
dieser Debatte zu sehr um das Geld, das nach Athen geflossen ist, und
die Schulden, die nie zurückgezahlt werden, sollte das Land aus dem
Euro ausscheiden. Europa ist nicht nur Finanzpolitik. Der Euro ist
das Vehikel zur Gemeinschaft, nicht die Gemeinschaft selbst. Genau
hier liegt das Problem: Europa definiert sich derzeit gar nicht. Die
Hauptstädte haben Macht aus Brüssel zurückgeholt. Gemeinsam tritt man
so gut wie gar nicht mehr auf, außer in kleinen Verbänden, wie das
Duo Merkel/Hollande in der Ukraine-Krise deutlich machte. Wenn eine
europäische Institution nach außen auftrat, dann war es diejenige,
die nicht demokratisch legitimiert, aber mit der Macht über Leben und
Tod der Staaten ausgestattet ist: die EZB. Natürlich handelt sie
prinzipiell zum Wohl der Menschen, wie ihr Chef Mario Draghi




angesichts der gewaltsamen Proteste vor seiner Haustüre gestern
klarstellte. Aber die EZB ist im Moment vor allem eine Bank, die
Banken hilft, ihre Schulden zurückzuzahlen. Die Befürchtung, dass
Geldpolitik alleine keine dauerhafte Lösung bietet, ist angesichts
anhaltender Krisen in der Eurozone nicht ganz von der Hand zu weisen.
Den Leidtragenden hilft vermeintlich niemand, während die Zentralbank
einen Milliardenschweren Neubau einweiht: Das macht die EZB zum
idealen Ziel für Protest gegen eine scheinbar verfehlte Politik.
Allerdings vergisst, wer so argumentiert auch, dass ohne das
Eingreifen der EZB viele Krisenstaaten längst pleite wären. Europa
hat sich entschieden, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Diese
Entscheidung war und ist angesichts einer globalisierten Welt
richtig. Aber die Mechanismen des Zusammenlebens und des
Zusammenwachsens - und damit die der Problemlösung - gehören
regelmäßig hinterfragt. Nur weil Irland seine Krise dank drastischer
Spar- und Reformkur überlebt hat, heißt das nicht, dass dieses Rezept
für den griechischen Patienten passt. Der müsste zuerst entgiftet
werden. Auf welchem Weg auch immer. Es stimmt: Das vereinte Europa
kommt derzeit meist als Krise daher. Es hat diese Krise selbst mit
herbeigeführt. Richtig ist aber auch, dass gerade im Fall
Griechenland das Land seine Probleme nicht selbst lösen will, auch
nicht, nachdem es den alten Weg der Krisenbekämpfung abgewählt hat.
Europa steht an einem Scheideweg. Es muss die Deutungshoheit über
sich wiedergewinnen und sie nicht den Banken überlassen, nicht den
Populisten und auch nicht der Straße. Mit dem Finger auf Athen zu
deuten, ist genauso falsch, wie Deutschland den ausgestreckten Finger
zu zeigen - oder wie Steine auf die EZB zu werfen: Es hilft
niemandem.



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Datum: 18.03.2015 - 19:55 Uhr
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