(ots) - Bayern soll nicht nur ökonomisch und
ökologisch, sondern auch menschlich und sozial ein Vorbild sein." Es
war ein schöner Anlass, zu dem Ministerpräsident Horst Seehofer diese
Worte am Freitag vergangener Woche äußerte: 134 Menschen wurden dafür
ausgezeichnet, dass sie anderen Menschen in Bayern das Leben gerettet
hatten. Nur einen Tag später gingen ganz andere Zitate des
Ministerpräsidenten durch die Medien: "Rigorose Maßnahmen" gegen
Flüchtlinge aus Südosteuropa kündigte er an, "härter gegen
Asylmissbrauch" wolle er vorgehen. Man könnte das für paradox halten.
Ein Land, das menschlich und sozial ein Vorbild sein will, ergreift
"rigorose Maßnahmen" gegen hilfesuchende Menschen. Doch diese
Rhetorik fügt sich nahtlos in die all jener Politiker, die
Flüchtlinge naturgewaltengleich in Wellen das Land überrollen oder in
Fluten die Kapazitäten der Sozialsysteme sprengen lassen. Denn wo
Flutwellen drohen, muss man Dämme bauen. Logisch. Obwohl Dämme dort
zum Brechen neigen, wo den Flutwellen keine Alternativen geboten
werden. Und auch wenn so manche Ãœberschwemmung durchaus fruchtbares
Ackerland zurücklassen kann. Unabhängig vom politischen Sinn oder
Unsinn der derzeitigen Flüchtlings- und Asylpolitik ist zu
beobachten, dass sich der sprachliche Umgang mit den Schutzsuchenden
drastisch verändert. Das trifft nicht nur jene, die nun pauschal in
Elends- oder Wirtschaftsflüchtlinge, ergo Sozialschmarotzer, oder
tatsächlich schutzwürdige Kriegsflüchtlinge sortiert werden. Sondern
auch und ganz besonders die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge.
Nach geltendem Recht genießen diese Kinder und Jugendlichen
besonderen Schutz. Im rhetorischen Wettrüsten aber sind mittlerweile
auch hier "die Kapazitätsgrenzen" erreicht. Dabei lassen sich
Argumente wie jenes, dass die Standards bei der Versorgung junger
Flüchtlinge gesenkt werden müssten, weil die gute Betreuung das
Geschäftsmodell der Schleuser unterstütze, recht leicht als
Stimmungsmache entlarven. Es ist in etwa so logisch wie die
Behauptung, Fortschritte in der Krebstherapie brächten Tabakkonzerne
dazu, mehr Zigaretten zu verkaufen. Was aber kaum einer hinterfragt:
Wer eigentlich setzt die Kapazitätsgrenzen? Dass es an qualifizierten
Sozialpädagogen, Lehrern und Erziehern fehlt, ist nicht gottgegeben,
sondern Folge einer Politik, die jahrzehntelang andere Prioritäten
setzte - siehe Kitastreik. Und kann sich Deutschland in dieser Frage
"Kapazitätsgrenzen" eigentlich wirklich leisten? Oder könnte die
Wanderungsbewegung höchstmotivierter junger Menschen, die Wüsten und
Meere überqueren, nur um eine gute Ausbildung zu erhalten, nicht
vielmehr die lang herbeigesehnte Lösung sein für den vielbeschworenen
Fachkräftemangel und die mehr als 37 000 unbesetzten
Ausbildungsplätze? Zumal die Unterbringung, Betreuung und Ausbildung
junger Flüchtlinge keine rein humanitäre Wohltat ist. Sondern
gleichzeitig ein Beitrag sowohl zur Entwicklungshilfe - und damit zur
Vermeidung künftiger Flüchtlingsdramen - wie auch zur
Terrorbekämpfung: Wer in Not nach Deutschland kommt, hier freundlich
aufgenommen und vielleicht sogar ausgebildet wird, kann später selbst
in seiner Heimat helfen. Und wird sich eher nicht Gruppen wie Boko
Haram oder dem IS anschließen, um westliche Werte zu bekämpfen. Es
geht in der Asylpolitik nicht darum, das eigene Leben zu riskieren,
um jemanden aus einem brennenden Haus oder aus reißenden Fluten zu
retten, wie es die Träger der Rettungsmedaille getan haben. Es geht
auch nicht darum, allen Menschen aus Syrien oder den Balkanländern
lebenslang einen Platz in der Sonne des deutschen Sozialsystems zu
garantieren. Aber es geht um Rettung, die auch darin bestehen kann,
sich mit Menschen, ihrer Not und ihrem Hintergrund individuell
auseinanderzusetzen, ohne sich dabei hinter im besten Fall
sinnfreien, im schlimmsten Fall wörtlich brandgefährlichen Floskeln
zu verstecken. Dass Horst Seehofer sich am Mittwoch im Landtag
besonnener gab, lässt immerhin Hoffnung zu. Vielleicht meint er ja
doch, was er selbst zur Verleihung der Rettungsmedaillen auf seiner
Facebook-Seite schreibt: "Bayern ist stark, weil sich die Menschen in
unserem Land nicht wegducken. Die Menschen sehen die Not anderer und
sind auch bereit, Verantwortung für andere zu übernehmen."
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