(ots) - In der Asylpolitik mutiert Bayerns
Ministerpräsident Horst Seehofer immer mehr zur bundesweiten
Reizfigur. Kritiker arbeiten sich an ihm und der CSU mit scharfen
Worten, Spott und Häme ab - und verbeißen sich dabei zu oft in
Details und Nebenschauplätze: Seehofers mangelnde Distanzierung
gegenüber dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban ist da zu
nennen - eine berechtigte Kritik, aber nicht Kern des Problems. Ein
geradezu groteskes Beispiel sind die heftigen Reaktion auf Bayerns
Plan, Flüchtlingsströme während der Oktoberfestzeit vom Münchner
Hauptbahnhof wegzulenken. In sozialen Netzwerken brach ein Aufschrei
los, als könnten Züge mit Asylbewerbern einzig und allein in München
stoppen. Dabei macht zu Wiesn-Zeiten jeder vernünftige Mensch einen
möglichst großen Bogen um den Hauptbahnhof - wegen der unzähligen
Betrunkenen, die schon am Morgen bei der Anreise "vorglühen". Für
Einheimische und Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat
sind, eine gleichermaßen schwer erträgliche Gesetzmäßigkeit. Die
öffentlichen Scharmützel verdecken, dass das meiste, was Seehofer und
seine Minister in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten gefordert
haben, inzwischen von Praktikern in anderen Parteien geteilt wird.
Die bayerische Regierung ist zum Taktgeber geworden. Die wachsenden
Gemeinsamkeiten ergeben sich dabei nicht durch politische Nähe oder
persönliche Sympathien, sondern ganz profan durch die alltäglichen
Herausforderungen. Wie lassen sich Asylbewerber auch im Winter gut
unterbringen? Wo bekomme ich genügend Feldbetten und Busse her? Wo
finde ich Deutschlehrer? Wo stehen große Gebäude leer? Wo gibt es
Wohnungen? Wie reagiere ich auf Ärger und Widerstände der
Bevölkerung? Die Positionen von Seehofer, SPD-Chef Sigmar Gabriel
oder der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
unterscheiden sich oft höchstens noch in Tonlage und Wortwahl, nicht
mehr in der Kernbotschaft. Eine Entwicklung, die sich auf allen
Ebenen beobachten lässt, bis hinunter zu den Kommunen, die hohe
Flüchtlingszahlen vor höchste Herausforderungen stellen. Den
Deggendorfer CSU-Landrat Christian Bernreiter plagen eben ähnliche
Sorgen wie manchen nordrhein-westfälischen SPD-Oberbürgermeister.
Bayern und Nordrhein-Westfalen haben in der Flüchtlingskrise aktuell
die Hauptlast zu tragen. Aber auch die anderen 14 Bundesländer stehen
unter wachsendem Druck. Vor diesem Hintergrund werden die neuen
Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze - forciert von
der CSU - fast durch die Bank als temporäre Notbremse akzeptiert,
ungeachtet der beachtlichen Nebenwirkungen in Österreich, Ungarn und
natürlich auch im Freistaat. Konsensfähig ist inzwischen auch, die
Verfahren von Flüchtlingen zu beschleunigen und abgelehnte
Asylbewerber rasch abzuschieben - die CSU hatte dies auf die Agenda
gehoben und dafür viel Schelte kassiert. Der Widerstand gegen die
Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsländer auf dem Balkan - auch
das ein CSU-Wunsch - ist erlahmt. Große Übereinstimmung gibt es zudem
darüber, dass der Bund den Ländern nicht nur finanziell kräftig unter
die Arme greifen muss, sondern auch die Koordination der
Flüchtlingsverteilung zu übernehmen hat. Es ist schließlich ein
Unding, dass bayerische Kabinettsmitglieder zuletzt Kollegen in
anderen Bundesländern anbetteln mussten, damit sie München einen Teil
der Flüchtlinge abnehmen. Bayerns Vorreiterrolle hat sich aus der
geografischen Lage entwickelt. Wer über die Balkanroute flieht,
betritt hier Deutschland. Die Herausforderungen zeigen sich im
Freistaat unmittelbar. Merkels Willkommensbotschaft an Flüchtlinge
aus Ungarn - eine richtige Entscheidung - entfaltete hier die
stärksten Nebeneffekte. Die deutliche Kritik Seehofers, die
zwangsläufig war, wurde zum tiefen Zerwürfnis mit der Kanzlerin
hochgejazzt. Doch auch wenn große Gegensätze deutlich wurden: Warum
soll es in den politischen Auseinandersetzungen nicht auch einmal
schärfer zugehen? An der Tonlage muss zwar künftig gearbeitet werden.
Doch längst sind beide wieder im Arbeitsmodus. Merkel und Seehofer
sind Pragmatiker, keine Sensibelchen. Das ist auch nötig. In der
Asylpolitik werden sich alle Protagonisten noch oft an möglichst
passgenaue Lösungen herantasten müssen - mal mit mehr, mal mit
weniger Erfolg.
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