(ots) - Was also bleibt von diesem Krisenjahr 2015, was
nehmen wir mit ins neue Jahr? Vielleicht vor allem das: Wer bisher
mit dem Begriff »Globalisierung« nichts anzufangen wusste, der
sollte sich nun einen Reim darauf machen können. Ganz platt gesagt
ist es so: Alles hängt mit allem zusammen. Und nein, Deutschland kann
sich nicht freimachen von den Unbilden ringsherum - auch wenn das
vielen Landsleuten wohl am allerliebsten wäre. 2015 - das war auch
unser Rendezvous mit der Realität.
Denn wenn wir wollen, dass nicht jedes Jahr eine Million
Flüchtlinge zu uns kommen, und das müssen wir wollen - in unserem
Interesse, aber auch im Interesse der Länder, die mit diesen jungen
Menschen auch noch den letzten Rest ihrer Zukunftshoffnung verlieren
-, ist »Raushalten« keine Option. Weder in Syrien noch in Libyen und
an den anderen Krisenherden des Nahen und Mittleren Ostens.
Allein jedoch wird der Westen dabei keinen Erfolg haben. So
bleibt uns nichts anderes übrig als mit Leuten zu sprechen, denen
wir gern aus dem Weg gehen würden. Der türkische Staatschef Recep
Tayyip Erdogan gehört dazu wie auch der russische Präsident Wladimir
Putin. Politik ist eben immer auch die Kunst des Machbaren
und nicht nur die des Wünschenswerten.
Ja, die geopolitische Wirklichkeit ist rau. Vor gut einem Jahr
noch wurde die nacheinander von Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD), Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
(CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck (parteilos) erhobene
Forderung, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Außen- und
Sicherheitspolitik übernehmen, als moderne deutsche Kriegstreiberei
diffamiert. 2015 hat gezeigt, dass sie wohl Recht behalten
werden.
Die deutsche Selbstgefälligkeit hat 2015 ihre Grenzen erreicht:
»Wir wollen nur unsere Geschäfte machen, unseren Wohlstand
genießen, und alles andere sollte uns am besten nicht interessieren.«
Doch so einfach ist es nicht, und es wird noch schwerer werden.
Schon stellt sich heraus, dass die Bundeswehr unzureichend auf die
Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist. Wer dem »Islamischen
Staat« nichts tut, dem tut der IS auch nichts? Spätestens am 13.
November wurden wir aus diesem Wunschtraum gebombt. Ein einziges
großes Glück ist es, dass Deutschland bislang von einem dieser
verheerenden Terroranschläge verschont blieb, wie sie Paris gleich
zweimal in diesem Jahr überstehen musste. Die Absage des Länderspiels
in Hannover gab einen kleine Ahnung davon, was passiert, wenn uns
dieses Glück abhanden kommt.
Auch in der Euro-Krise ist die Wahrheit komplexer, als wir uns
das mitunter vorgaukeln. Allein die Niedrigzinspolitik der
Europäischen Zentralbank hat dem deutschen Staat in den vergangenen
vier Jahren mehr als 100 Milliarden Euro gespart. Das ist jetzt schon
mehr, als wir an gesamten Bürgschaften im Feuer stehen haben. Zu
hören ist es aber weitaus seltener als die laute Klage über den
unzuverlässigen Süden der Eurozone.
Und warum eigentlich sollen Italien und Griechenland
Solidität beweisen, wenn wir ihnen mit Blick auf die
Flüchtlingsbewegung unsere Solidarität verweigern. Europas
Zerwürfnisse sind nur im Gesamtzusammenhang zu verstehen. Will man
sie lösen, muss der Interessenausgleich in der EU neu austariert
werden - auch das wird Deutschland etwas kosten.
Und bei der Integration der Flüchtlinge in unserem Land ist es
nicht anders. Wer den Nutzen des Zuzugs betont, darf über seine
Kosten nicht schweigen. Wer über die Chancen spricht, muss auch die
Risiken benennen. Ohne Realismus verliert jeder Idealismus den Boden.
Integration lässt sich nicht herbeireden, wir müssen sie erringen.
Und Misserfolge sind unvermeidlich. Natürlich wird es Flüchtlinge
geben, die sich nicht integrieren wollen. Auch dann aber müssen
Staat und Gesellschaft Antworten parat haben. Abschiebungen gehören
beispielsweise dazu - auch wenn sie nicht so schöne Bilder liefern.
Die Debatten zu all diesen Themen werden uns anstrengen, doch wir
müssen sie ehrlich und rückhaltlos führen. Wir brauchen mehr, nicht
weniger Streit über die richtigen Ziele und den besten Weg dahin.
Denn was wir aus dem neuen Jahr machen, liegt immer auch an uns.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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