(ots) - Nirgendwo werde mehr gelogen als nach der Jagd
oder vor Wahlen, meinte einst Winston Churchill. Der ständig Zigarre
rauchende ehemalige britische Premier hatte alle Höhen und Tiefen von
demokratischen Wahlen erlebt. Ausgerechnet nach dem großen Sieg über
Hitler im Zweiten Weltkrieg wurde der charismatische Brite im eigenen
Land abgewählt. Dies zumindest kann der deutschen Bundeskanzlerin
nach den drei Landtagswahlen am kommenden Sonntag nicht passieren.
Angela Merkel steht weder im "Ländle" Baden-Württemberg, noch in
Rheinland-Pfalz noch in Sachsen-Anhalt zur Wahl. Wenigstens nicht
direkt. Indirekt geht es aber selbstverständlich um das derzeitige
Spitzenthema: die Flüchtlingspolitik. An Merkels fast trotzigem
Festhalten an einer europäischen Lösung, statt einer kleinen, jeweils
nationalen, scheiden sich die Geister. Und zwar quer durch die
Bevölkerung. Und teilweise sogar quer durch die politischen Lager.
Dabei geht es am Super-Wahlsonntag weniger um ausgefeilte politische
Programme, als vielmehr um Personen, Stimmungen, Befindlichkeiten,
Sorgen und Ängste. Nahezu einmalig und kurios zugleich ist vor diesem
Hintergrund die Situation in Baden-Württemberg. Der überaus beliebte
Landesvater von den Grünen, Winfried Kretschmann, steht im Grunde
Merkels Flüchtlingspolitik näher als der blasse und ziemlich
unbekannte CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf und große Teile der
Südwest-Unionspartei. Wer für Merkels Politik der weiterhin offenen
Grenzen, der Flüchtlingskontingente, aber gegen einseitige
Grenzschließungen, gegen Stacheldraht und Tränengas ist, der müsste
im Südwesten eigentlich für die Grünen stimmen. Eine ziemlich
verrückte Vorstellung fürwahr. An der Person Kretschmann macht sich
zudem noch eine andere Eigentümlichkeit fest. Dem einstigen Lehrer
mit der knarrenden Stimme ist es offenbar gelungen, tief in junge wie
ältere bürgerliche Wählerschichten vorzudringen. In den Städten des
Südwestens, aber nicht nur dort. Die CDU hat dem, wenn man so will,
frischen grünen, pragmatischen Konservatismus nur wenig
entgegenzusetzen. Wolf, Strobl und Co. der baden-württembergischen
CDU wirken dagegen blass, altbacken, saft- und kraftlos. Und so ganz
genau wissen sie auch nicht, ob sie gegen Merkel auf die Barrikaden
gehen sollten, wie dies der gern gebuchte Wahlkämpfer Horst Seehofer
stellvertretend auch für sie tut, oder ob sie gute Miene zur Politik
der Kanzlerin machen sollen. Sie tun beides. Wie auch die jugendliche
Heldin der CDU in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner. Auf dem
CDU-Parteitag im Dezember applaudierte die ehemalige Weinkönigin und
Hoffnungsträgerin noch brav der großen Vorsitzenden. Im neuen Jahr
kam sie, gemeinsam mit Wolf, mit einem Flüchtlingspapier um die Ecke,
dass näher bei Seehofer als bei der Kanzlerin lag. Ob man in
Rheinland-Pfalz lieber eine Kandidatin in einem solchen Spagat wählt,
als die SPD-Landesmutter, Maly Dreyer, wird sich Sonntag zeigen. Auch
wird nach dem dreifachen Urnengang klarer sein, welche Rolle die
rechtspopulistische Schein-Alternative für Deutschland AfD in der
deutschen Politik wirklich spielt. Umfragen, die der diametral gegen
Merkels Flüchtlingskurs auftrumpfenden Partei fast überall
zweistellige Ergebnisse vorhersagen, sind das eine. Die Entscheidung
an der Wahlurne das andere. Bislang hält die Taktik des
Niederhaltens, Verächtlichmachens, Verspottens der etablierten
Parteien und Medien gegenüber der AfD. Sollten aber Petry, Höcke, von
Storch und Co., die ankündigten, notfalls an der Grenze auf
Flüchtlinge schießen zu lassen, aber erdrutschartig zulegen, könnte
diese Taktik durchlöchert werden. Eine wirkliche politische
Auseinandersetzung mit der AfD kam bislang viel zu kurz.
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