(ots) - Wie viele Mitglieder der Bundestag hat, ist keine
technische Frage allein. Eine Aufblähung auf 700 oder gar 800
Abgeordnete, wie sie nach dem geltenden Recht 2017 wahrscheinlich
wäre, schafft ein kaum arbeitsfähiges Mammutgremium und bietet den
Feinden der Demokratie Möglichkeiten zur Diffamierung. Deshalb ist es
löblich, dass Parlamentspräsident Norbert Lammert mit dem Vorschlag
einer Höchstgrenze die Notbremse zieht. Leider ist das auch keine
grundlegende Reform, sondern nur neuer Murks, der alten mildern soll.
Vor allem Lammerts CDU genoss jahrelang ungerührt ihren Vorteil als
stärkste Partei in den Regionen, der regelmäßig zu zahlreichen
Überhangmandaten führte. Als das vom Verfassungsgericht gestoppt
wurde, gab man der Opposition zu deren Zufriedenheit genau gleich
viele Ausgleichsmandate, mit dem Resultat, dass der Bundestag heute
schon 631 Abgeordnete zählt, statt 299 direktgewählte Abgeordnete
plus 299 von der Liste, also 598, wie es eigentlich sein müsste. Das
dürfte sich 2017 noch verstärken, denn die Union ist in immer mehr
Wahlkreisen stärkste Partei, das aber mit nur noch einem Drittel der
Stimmen. Theoretisch könnte sie damit alle 299 Direktmandate
erringen, hätte also fast 100 Überhangmandate, die bei den anderen
Parteien ausgeglichen werden müssen. Nach Lammerts aktuellem
Vorschlag würde das aber nur bis zur Höchstzahl von 630 geschehen,
was die Union klar begünstigen würde. Es gibt keine Lösung ohne
Nachteil, so lange man die Mischung aus Mehrheitswahlsystem in den
Wahlkreisen und Verhältniswahlrecht für das Stärkeverhältnis der
Parteien nicht abschaffen will. Und die hat sich bewährt. Aber man
könnte unterhalb einer Höchstgrenze, wie Lammert sie vorschlägt, die
Relationen verändern und zum Beispiel künftig nur noch ein Drittel
der Mandate - in dann größeren Wahlkreisen - direkt vergeben, den
Rest über Landeslisten. Dann gäbe es viel weniger Überhang- und
Ausgleichsmandate. Eine solche Struktur entspricht der Tendenz, dass
es die großen Volksparteien so nicht mehr gibt, und bedeutet
angesichts des Trends zur Verstädterung und der elektronischen
Kommunikationsmöglichkeiten auch keine allzu große Einschränkung des
Kontaktes zwischen Abgeordneten und Bürgern. Doch darüber wird der
Bundestag nicht einmal diskutieren, denn zum dritten Mal
hintereinander hat er für eine echte Reform schon wieder den
richtigen Zeitpunkt verpasst. Es sollte wirklich das letzte Mal
gewesen sein. Denn, merke, mindestens so angreifbar wie ein zu großes
Parlament ist der Eindruck, dass die Parteien an einem gerechten
Wahlrecht gar nicht interessiert sind, sondern nur an möglichst
vielen Sitzen. Das Thema gehört nach der Wahl sofort und dann
grundlegend auf die Tagesordnung.
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