(ots) - Neue Farbenlehre
Parteien Der Vormarsch der AfD erzwingt neue
Regierungskoalitionen. Möglicherweise 2017 auch im Bund.
Von Reinhard Zweigler, MZ
Regierungskoalitionen, bemerkte geistreich Jean Marivaux, sind
eine Vernunftheirat, bei denen die Flitterwochen in getrennten
Schlafzimmer stattfindet. In Magdeburg zeichnet sich derzeit für das
Bundesland Sachsen-Anhalt eine solche politische Vernunftehe ab, die
es so in Deutschland noch nicht gegeben hat: Schwarz-Rot-Grün. Oder
kurz Kenia-Koalition, wie das Bündnis aus CDU, SPD und Grünen in
Anlehnung an die Flaggenfarben des afrikanischen Landes genannt wird.
In Baden-Württemberg bastelt derweil der beliebte grüne Landesvater
Winfried Kretschmann an der ersten grün-schwarzen Koalition mit der
gebeutelten Südwest-CDU. Die war bei den Wahlen vor fünf Wochen
erstmals hinter den Grünen ins Ziel gekommen. Und in Rheinland-Pfalz
versucht die bisherige Landesmutter Malu Dreyer von der SPD, die eher
unerwartet die Wahl gewann, eine politische Zweckehe von Rot, Gelb
und Grün hinzubekommen. Vorbilder für eine solche sogenannte
Ampelkoalition gab es allerdings bereits in Brandenburg und Bremen.
Einfach wird die Sache in Mainz dadurch jedoch um keinen Deut. Fakt
ist, die politische Landschaft in Deutschland wird bunter. Auch im
Bund könnte es 2017 zu einer Regierungskoalition kommen, die aus drei
unterschiedlichen Partnern besteht. Wenn es nicht wieder zu einer
Neuauflage von Schwarz-Rot kommen sollte, was dann vermutlich aber
nicht mehr als "große Koalition", wie derzeit mit fast 80 Prozent der
Abgeordneten im Parlament, bezeichnet werden kann. Mehrheitsfähige
Zweierbündnisse werden offenbar immer schwieriger. Bislang noch
unerprobte Bündnisse von drei Parteien schicken sich an, die
Regierungen zu übernehmen. Die bayerische Alleinherrschaft der CSU
oder die SPD-Dominanz im Stadtstaat Hamburg bilden die Ausnahmen. Ein
Grund, aber längst nicht der einzige, für die neue politische
Farbenlehre ist der Vormarsch der rechtspopulistischen AfD. Sie hat
nicht nur den beiden etablierten einstigen "Groß-Parteien", CDU/CSU
und SPD, das Fürchten gelehrt, sondern ihnen auch viele unzufriedene
Wähler abspenstig gemacht sowie Nichtwähler an die Urnen gezogen.
Auch bei der Linken, die lange als die Protestpartei in Deutschland
reüssierte, macht sich Schwund in Richtung AfD bemerkbar. Die
politische Gretchenfrage heißt derzeit, wie hälst Du es mit der AfD?
Ãœber den richtigen Umgang mit den von Wahlerfolg zu Wahlerfolg
schreitenden Populisten gibt es jedoch kein Rezept, sondern Streit.
Die Spitzen von CDU und CSU haben ein totales Kontaktverbot erlassen.
Und über Koalitionen mit der Islam- und Flüchtlings-kritischen Partei
dürfe schon gleich gar nicht geredet, nicht einmal laut nachgedacht,
werden. Heißt es von oben. An der Basis mag das im Einzelfall anders
aussehen. Der Frust sitzt jedenfalls tief, dass sich rechts von der
Union eine Partei einrichten konnte. Man habe Franz Josef Strauß' Rat
nicht beherzigt, schimpfen vor allem die Widersacher von Angela
Merkel. Die CDU-Chefin habe die Union insgesamt viel zu weit nach
links gerückt, grollt es vernehmlich. Dass die jetzige Koalition im
Bund hektisch das Thema Rente als nächsten Wahlkampfschlager
ausbuddelt, kann auch als verzweifelte Reaktion auf das Erstarken der
AfD gesehen werden. Sowohl Seehofer als auch Gabriel wollen ihre
Parteien wieder als die "der kleinen Leute" herausstellen. Mit -
wahrscheinlich vielen Steuermilliarden - soll die gesetzliche
Altersrente aufgepeppt werden. Im Grunde ist das ein Eingeständnis
dafür, dass die Reformen der vergangenen Jahre, einschließlich
Riester, Mütterbonus und Rente mit 63, nicht viel gebracht haben. Nun
soll schon wieder eine "Rentenreform" her. Wer kann diesen wohlfeilen
Ankündigungen eigentlich noch trauen? Die AfD hingegen dürfte sich
eher stärker als fundamentale Islam-Kritkerin zu profilieren suchen,
nachdem der Flüchtlingszustrom an Brisanz zu verlieren scheint. So
einfach von selbst verschwinden werden die Rechtsausleger nicht.
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