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Mittelbayerische Zeitung: Was wir brauchen - Die Frage, wer Gauck nachfolgt, ist auch
eine Frage danach, was für ein Land wir sein wollen. Von Christian Kucznierz

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(ots) - Joachim Gauck ist ein guter Bundespräsident.
Das zeigt sich nicht zuletzt jetzt, da er angekündigt hat, sich nicht
noch einmal der Wahl zu stellen. Die Größe und der Mut, zu sagen,
wenn man sich nicht mehr zutraut, sein Amt auszufüllen, sind nicht
selbstverständlich. Gauck hat dem Amt nach einem unwürdigen Rummel um
seinen Vorgänger Christian Wulff Würde zurückgegeben. Wenn der 12.
Februar 2017 vorbei und ein neuer Bundespräsident gewählt ist, wird
sich zeigen, ob diese Würde beim Amt geblieben ist. Gauck war ein
Konsenspräsident. Mit ihm hat jeder leben können; eine Wiederwahl
wäre so gut wie sicher gewesen. Seine Weigerung, noch einmal
anzutreten, bedeutet daher für alle: Sie müssen Farbe bekennen. Keine
Partei wird ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin allein durchsetzen
können. Die Frage, wer wen unterstützt, wird eine Vorentscheidung
sein dafür, wer mit wem künftig auf Bundesebene zusammenarbeiten
möchte und kann. Dieser Zwang, Koalitionen, auch neue, zu formen, ist
das Gute an der eigentlich schlechten Nachricht, dass Gauck aus
Bellevue ausziehen wird. Denn eines ist klar: Der amtierende
Bundespräsident war ein Glücksfall. Sein Thema - Freiheit - mag dem
einen oder anderen oftmals sperrig vorgekommen sein. Und dennoch hat
es in den vergangenen Monaten neue Aktualität erhalten; "Lügenpresse"
ist das Stichwort. Die Bilder vom Sommer und Herbst 2015 und die
aufgeheizte Stimmung im Zuge der Debatte um die Flüchtlinge, die
Eskalation nach den Übergriffen in der Silvesternacht von Köln und
anderer Städte, die Pegida-Demonstrationen und das Erstarken einer
rechtspopulistischen Partei wie der AfD zeigen, dass sich unser Land
massiv verändert hat. Es sind neue Kräfte am Werk. Sie stellen die
Arbeit der etablierten Parteien infrage und decken auf, dass ein
nicht zu unterschätzender Teil der Menschen sich ihrer politischen




Heimat beraubt sieht. Man darf nicht jedem, der schreit, glauben,
dass es wirklich einen Grund gibt, zu schreien. Aber die Zahl der
Rufenden ist zu groß geworden, um sie zu ignorieren. Das muss Folgen
haben: für die Parteien, für unsere Gesellschaft, für unser
Selbstverständnis als demokratisches Land. Es gilt, Konzepte und
Rezepte zu finden: dafür, wie dieser Unmut, der sich bei Zeiten zwar
unangenehm, aber friedlich, bei Zeiten laut und aggressiv Luft macht,
eingefangen werden kann oder wie man ihm entgegentritt. Es gilt,
Politik zu machen für die Menschen und mit ihnen. Es gilt auch, Front
zu machen gegen diejenigen, die Hass schüren, um darauf aufbauend
ihre Vorstellungen von einer deutschen Gesellschaft verwirklichen zu
können. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin werden nicht
vom Volk gewählt. Deswegen wird es umso wichtiger sein, dass der oder
diejenigen, die als Kandidaten ausgewählt werden, Symbol sein können
für einen Staat, dessen Innerstes sich gewandelt hat. Der
multikultureller, aber auch verunsicherter ist, der freundliche
Gesichter für ankommende Flüchtlinge ebenso kennt wie grölende Meuten
vor Flüchtlingsbussen. Gauck mag ein Gemeinschaftsprodukt von Union,
SPD, FDP und Grünen gewesen sein, aber er war unabhängig genug, um zu
mahnen, wenn er das Gefühl hatte, dass die Politik die Sorgen der
Menschen ignorierte. An der Frage, wer für das Amt des
Staatsoberhauptes nominiert wird, wird sich zeigen, ob die Parteien
erkannt haben, in welcher Zeit wir leben. Das Gute daran: Allein
durch diesen Zwang wird hoffentlich deutlich, dass in Berlin eben
nicht alle unter einer Decke stecken. Dieser Zwang, Flagge zu zeigen,
ist vielleicht der größte Dienst, den Joachim Gauck seinem Land in
den kommenden Monaten erweisen wird.



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Datum: 06.06.2016 - 21:28 Uhr
Sprache: Deutsch
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