(ots) - Die spanischen Sozialisten haben den letzten
Rest an politischer Vernunft zusammengekratzt. Vielleicht war es aber
auch nur die Angst vor einem Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit.
Fest steht jedenfalls, dass sie den amtierenden Premierminister
Mariano Rajoy weiter regieren lassen werden, indem sie sich bei
seiner Wahl am Wochenende in den Cortes schlicht enthalten. Ohne
diese Enthaltung wäre es zu Neuwahlen an Weihnachten gekommen, und
alle Umfragen haben der Sozialistischen Partei für diesen Fall eine
verheerende Niederlage vorausgesagt. Rajoys Volkspartei dagegen hätte
hinzugewonnen, vielleicht sogar die absolute Mehrheit erreicht. Die
Sozialisten wären wie viele andere sozialdemokratische oder gemäßigt
sozialistische Parteien in Europa zur politischen Randgruppe mit
großer Vergangenheit degeneriert. So aber haben sie im Parlament als
gewichtige Opposition ein Wort mitzureden und können das Scheitern
der Minderheitsregierung wenigstens über eine Sachfrage herbeiführen.
Das ist immer glaubwürdiger als eine reine Personalfrage, so wie es
jetzt der Fall gewesen wäre. Der Meinungsumschwung bei den
Sozialisten ist also kein Achtungserweis für den seit zehn Monaten
und zwei Parlamentswahlen »geschäftsführenden« Ministerpräsidenten
Rajoy. Es war schlicht das kleinere Übel. Möglich wurde die Wende
durch den Rückzug des Sozialistenchefs Pedro Sánchez, der beim Namen
Rajoy nur noch rot sah. Einfach wird es für den Konservativen nun
gleichwohl nicht. Eine Bruchstelle bleibt die Austeritätspolitik.
Sie hat Spanien zwar in den letzten Jahren halbwegs saniert und der
momentane Aufschwung mit den größten Wachstumszahlen in der EU
zeitigt auch seine Früchte: Die Arbeitslosenzahlen sinken, der Export
boomt, die Baubranche erholt sich. Aber populär ist diese Politik
keineswegs. Linksextreme Parteien wie Podemos werden versuchen, die
Straße dagegen zu mobilisieren. Die größte Herausforderung jedoch
ist: Rajoy muss ernsthaft an seiner eigenen Glaubwürdigkeit arbeiten.
Die hängt weniger mit seiner Person zusammen - er gilt als
Aktenfresser - als vielmehr mit der eigenen Partei. Bei zu vielen
Korruptionsskandalen hat er nicht konsequent durchgegriffen und sich
von manchen Parteifreunden getrennt. Das muss er jetzt nachholen,
wenn er glaubwürdig bleiben und so seine schärfste Waffe, drohende
Neuwahlen, über den Sozialisten schweben lassen will. Sicher, das Amt
vermittelt ein gewisses Maß an Autorität, aber, so wissen wir seit
Max Weber, zur Führungsstärke gehört auch ein Stück natürliche
Autorität, konkret: persönlicher Mut. Den muss Rajoy in nächster Zeit
zusammenkratzen. Deshalb ist der wirkliche Gegner nicht die
Sozialistische Partei, sondern er selbst.
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