(ots) - Hinterher weiß man alles besser, sagt der
Volksmund. Nach dem verheerenden Lastwagenattentat des mutmaßlichen
Terroristen Anis Amri am Berliner Breitscheidplatz mit zwölf Toten
und vielen Verletzten wird immer deutlicher, dass es im Vorfeld der
Bluttat offenbar zahlreiche Behördenpannen gegeben hat. Auch die
müssen nun vorbehaltlos aufgeklärt werden. Schon deshalb, damit nicht
weitere "Gefährder", nicht andere potenzielle Terroristen den
Behörden durch die Lappen gehen können. Der Fall wirft viele bohrende
Fragen auf, die die Verantwortlichen in Politik und Behörden
beantworten müssen. Etwa die, warum das hochgelobte Gemeinsame
Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern in Berlin (GTAZ) den
verdächtigen Tunesier zwar auf dem Schirm, ihn als "Gefährder"
identifiziert hatte, dennoch sein wirkliches Terrorpotenzial
sträflich unterschätzte. Dass sich der mutmaßliche Mörder vom
Breitscheidplatz Geld für eine Waffe beschaffen wollte, dass er in
Deutschland hin und her reiste, dass er im Internet nach Anleitungen
zum Bombenbau suchte und dass er Kontakt zur islamistischen
Terrororganisation Islamischer Staat herstellte, haben die Behörden
offenbar gewusst. Warum haben sie nicht eingegriffen? Es steht der
furchtbare Verdacht im Raum, dass wegen Behördenpannen der Anschlag
nicht verhindert werden konnte. Auch liegt noch weit im Dunkeln, ob
und welche Personen Anis Amri als Unterstützer hatte. Hat ihm
möglicherweise ein islamistisches Netzwerk logistische Hilfe vor der
Tat und bei seiner Flucht durch halb Europa geleistet? Da ist es nur
ein kleiner Trost, dass der Bordcomputer des Lastzuges das Fahrzeuges
wohl automatisch abgebremst hat. Vermutlich wollte der Gotteskrieger
noch viel mehr unschuldige Menschen auf dem Weihnachtsmarkt töten.
Etwas Glück in einem schlimmen Unglück. Dass vor allem die CSU nach
dem Anschlag mit einem ganzen Paket neuer Vorschläge für schärfere
Gesetze aufwartet, kann man wohl unter der Rubrik
Wir-tun-was-damit-sich-die Leute-beruhigen abhaken. Denn es gibt
bereits ein verschärftes Ausländer- und Aufenthaltsrecht. Die Krux
ist nur: Es wird nicht konsequent und bundesweit einheitlich
angewandt. Ausländische Gefährder etwa können bereits heute durch die
konsequente Anwendung geltenden Rechts zu Haftstrafen verurteilt und
wegen Fluchtgefahr in Abschiebehaft genommen werden. Und wenn diese
Gefährder falsche oder gar keine Angaben zu ihrer Identität machen,
wenn sie einfach "untertauchen", ist dies heute bereits ein Verstoß
die Melde- und Aufenthaltsauflagen - und somit strafbar. Statt
wohlfeilen Aktionismus braucht man die konsequente Anwendung
geltenden Rechts. In der Rechtspraxis sieht es jedoch oft so aus,
dass völlig überforderte Gerichte Verfahren "mangels öffentlichen
Verfolgungsinteresses" einstellen. Auch werden Ausländer- und
Asylbehörden in Sicherheitsfragen in der Regel gar nicht eingebunden.
Zudem könnten sogenannte "Hassprediger" aufgrund des bestehenden
Aufenthaltsgesetzes rasch ausgewiesen werden, weil sie die
öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Und schließlich klemmt
es ganz gewaltig beim Zugang der deutschen Polizei zur europäischen
Flüchtlingsdatenbank sowie zur europäischen Straftäterdatenbank, die
längst reformiert worden sein sollte. Der Fall Anis Amri hat nicht
nur viele Tote und Verletzte hinterlassen, die unser Mitgefühl haben
- sondern auch das mulmige Gefühl, dass im Vorfeld des Attentats
gewaltig geschlampt wurde.
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