(ots) - Und dann geht es an seine Existenz, sagt Martin
Schulz. Er meint das Schicksal eines 50-Jährigen, der arbeitslos wird
im heutigen Deutschland. Es ist eine groteske Formulierung. Der
Kanzlerkandidat der SPD müsste wissen, wie es war, als
Arbeitslosigkeit wirklich noch an die Existenz ging: Hunger, Kälte,
Obdachlosigkeit. Heute bekommt der von Schulz erwähnte 50-Jährige ein
Jahr und drei Monate Geld und Zeit, um sich einen neuen Job zu
suchen. Die Arbeitsagentur hilft ihm dabei; sie ist
vermittlungsfähiger geworden. Nach dieser Frist erhält der
Betreffende im Notfall Hartz IV, wenn die eigenen Rücklagen bis auf
ein Schonvermögen aufgebraucht sind. Das ist bitter, aber die Miete
und ein magerer Lebensunterhalt sind gesichert. Und zwar so lange,
wie es nötig ist. Hartz IV ist nicht Armut per Gesetz und keine
Existenzvernichtung, sondern im Gegenteil die Existenzsicherung durch
die Gemeinschaft, die dafür eine Gegenleistung verlangt: Die
Bereitschaft, eine angebotene Arbeit auch anzunehmen. Gerhard
Schröder und Frank-Walter Steinmeier, die Väter der Agenda-Reformen,
reagierten vor mehr als 14 Jahren auf massive Fehlentwicklungen. Ein
Großteil der Langzeitarbeitslosen wurde damals nur noch alimentiert,
verdiente sich vielleicht mit Schwarzarbeit etwas dazu. Es gab für
viele weder Anreize noch Chancen, aus dieser Situation je
herauszukommen. Eine großzügige Arbeitslosenhilfe garnierte die
faktische soziale Ignoranz der Gesellschaft, auch die des linken
Bürgertums. Die Jobvermittlung war eine Katastrophe. Sie wurde als
Erstes reformiert. Das Fördern war das Gegenstück zum Fordern, beides
gehört zusammen. Die Reformen der Agenda 2010 haben Deutschland
wirtschaftlich dynamischer gemacht und vielen Menschen geholfen. Bis
heute. Schröder und Steinmeier ließen sich von der Hartz-Kommission
beraten und entwarfen ein Gesamtkonzept, wo Schulz nun aus dem Bauch
heraus herumdoktert. Würde auch er eine Kommission einsetzen, käme
die wahrscheinlich zu folgendem Urteil: Nicht die Agenda-Reformen
waren schlecht, schlecht war - und ist -, dass nicht zugleich auch
der Arbeitsmarkt geordnet wurde. Schlecht war und ist, dass das
Bildungssystem zu viele im Stich lässt. Schlecht ist die zu hohe
Belastung der Arbeitnehmer mit Sozialabgaben. Schlecht sind zu
niedrige Löhne. Der SPD-Kanzlerkandidat wirft die Agenda 2010 wegen
eines ihn angeblich beeindruckenden Gespräches mit einem Betroffenen
an einem wichtigen Punkt über den Haufen. In Wirklichkeit ist es
natürlich nicht deswegen. Sondern, weil große Teile der SPD sich
immer noch schämen für die zentrale Erkenntnis ihrer damaligen
Führer: Ein aktivierender Sozialstaat hat nicht die soziale
Versorgung als Hauptziel. Sondern die Befähigung zur
Selbstversorgung. Diesen notwendigen Paradigmenwechsel haben viele in
der SPD nie akzeptiert und nie verstanden. Offenbar auch Martin
Schulz nicht.
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