(ots) - Jetzt wird's hint' höher wie vorn. Das mag
manch altgedienter CSU-ler angesichts des hymnisch gefeierten
Gottkanzlers aus Würselen gedacht haben. Die sonst bespöttelte,
schlimmer noch: bemitleidete SPD holt mit Martin Schulz doch
tatsächlich mehr Leute auf die Bierbänke als die eingeführte Topmarke
im weiß-blauen Politgeschäft. Da scheint aus bayerischer Perspektive
etwas gewaltig aus dem Gleichgewicht geraten. Es wird aber auch
andersherum ein Schuh daraus: Die politische Welt in Deutschland
gewinnt auf beruhigende Weise ihre Balance zurück. Nach anfänglichem
Hochmut dämmert den Christsozialen, dass dieser aus Brüssel
zugewanderte Genosse keine schnell abgebrannte Wunderkerze ist. Im
niederbayerischen Bierzelt hat Martin Schulz die Feuertaufe
bestanden: Wer es als Sozi hier schafft, der schafft es ziemlich
sicher überall. Sofern Schulz nicht vor dem 24. September schon
siegestrunken über die eigenen Füße stolpert, könnte er den
Popularitätsvorsprung vor Angela Merkel in den kommenden sechs
Monaten durchaus halten. Selbst für Unions-Anhänger steckt darin
zumindest eine gute Nachricht: Ein großer Teil der Wut- und
Protestwähler, die Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Denkzettel
verpassen wollen, wendet sich von der AfD ab und einem neuen
Hoffnungsträger zu. Die Alternative für Deutschland hat ja nie nur am
rechten Rand der Gesellschaft gefischt. Linke, SPD-ler, viele
CDU-Wähler liefen ihr zu. Nun tönen die markigen Sprüche von Rechts
plötzlich hohl. Frauke Petry braucht mittlerweile den smarten
Österreicher Straché als Sidekick, um Stimmung zu entfachen. Und das,
was Schulz mit der neuen Aufbruchstimmung nicht schafft, wird -
ähnlich wie bei den Piraten - die Partei erledigen. Sie zerlegt sich
zuverlässig selbst. Weil sie sich nicht von Parteifreunden am ganz
rechten Rand distanzieren mag. Auch wegen mangelnder Erfahrung: In
der Bundespressekonferenz musste die forsche Debütantin Petry gerade
erst zurechtgewiesen werden, dass nicht sie die Fragen beantworten
soll, die anderen Vorstandsmitgliedern gestellt werden. Vor allem
aber, weil offensichtlich nicht gemeinsamer politischer
(Gestaltungs-)Wille die Führungsspitze antreibt, sondern Machthunger
und Eitelkeit, endet der Triumphmarsch der AfD jetzt in einer
Sackgasse. Was narzisstische Persönlichkeiten an der Spitze eines
Staates anrichten können, ist gerade als US-amerikanische Daily Soap
zu erleben. Seit Donald Trump gewählt ist, kommt die Welt nicht aus
dem mal sorgenvollen, mal ungläubigen Kopfschütteln heraus. Dass die
CSU beim Politischen Aschermittwoch ausgerechnet Trumps Wahlspruch,
abgeändert in "Bavaria First", vor sich herträgt, muss man wohl zu
ihren Gunsten als fremdsprachige Variante des alten Lamentos über die
Bürde des Länderfinanzausgleichs betrachten. Denn wem ist bei den
Slogans des US-Präsidenten eigentlich noch zum Lachen zumute? Die
politischen Verhältnisse, in der Welt und direkt vor unserer Haustür,
haben sich binnen weniger Monate so rasend schnell verändert, dass
einem ganz schwindlig - und manchmal etwas übel - wird. Nichts
scheint mehr unmöglich. Rund um uns bröckeln Demokratien, schwinden
Meinungs- und Pressefreiheit, regieren Willkür und Demagogie. Wenn
Deutschland am 24. September zwischen einem geschickt
emotionalisierenden Schulz und einer kalkuliert abwartenden Angela
Merkel zu wählen hat, haben wir alle schon gewonnen. Beide
garantieren, dass die Verfassung den Stellenwert behält, den sie über
Jahrzehnte innehatte. Wer im Kanzlerrennen am Ende die Nase vorn hat,
ist dann schon fast gehupft wie gesprungen.
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