(ots) - Für Wehmut gibt es keinen Grund, wenn Joachim
Gauck jetzt den präsidialen Stab an Frank-Walter Steinmeier übergibt.
Der neue Schlossherr von Bellevue ist eine respektable
Persönlichkeit, der hoffentlich wichtige Impulse für den Zusammenhalt
der Gesellschaft setzen wird. Anlass zur Freude aber ist das Ende von
Gaucks Amtszeit auch nicht. Das richtet sich an jene, die mit dem
früheren Pfarrer häufig gehadert haben, und das sind weniger die
Menschen im Westen, als die im Osten Deutschlands gewesen. Ähnlich
wie Kanzlerin Angela Merkel wird Gauck dort schon länger nicht mehr
als einer der ihren angesehen. Dabei ist der gebürtige Rostocker
immer auch ein Anwalt ostdeutscher Interessen gewesen. Dazu hat aus
seiner Sicht freilich gehört, sich gelegentlich kritisch mit der
Gemütslage in den Ost-Ländern auseinanderzusetzen. Seine Apelle für
weniger Nörgelei, für mehr Zuversicht und mehr Stolz auf das
Geleistete waren für manchen von Dresden bis Zwickau zwar unangenehm,
aber sie waren nötig. Weil sie auch im Interesse Gesamtdeutschlands
durchaus gewesen sind. Allerdings konnte auch Gauck das Land fast 30
Jahre nach der Einheit nicht weiter zusammenführen. Das ist womöglich
der bittere Teil seiner Bilanz. Das Trennende zwischen Ost und West,
so scheint es, ist sogar wieder größer geworden. Gauck mag
unterschätzt haben, wie fremd sich viele Ostdeutsche im
wiedervereinten Deutschland immer noch fühlen. Nach der Wende
bündelte sich der Protest links, heute wegen der Flüchtlingspolitik
rechts. Gauck hat die Ängste und Sorgen nicht ignoriert. "Unser Herz
ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich", ist einer der
wichtigsten Sätze seiner Amtszeit gewesen. Was als ein Signal an die
Bürger gedacht war, Vertrauen in die Politik zu haben, ist
letztendlich bei einem Teil der Menschen verpufft. Vorwerfen kann man
das Gauck nicht. Die Kraft des Amtes geht eben doch nicht über das
Wort hinaus. Vielleicht hat er das ab und an verkannt. Viel Positives
wird von Joachim Gauck bleiben, der im Laufe seiner Präsidentschaft
dazugelernt hat. Er ist ein nachdenklicher, ein gescheiter, ein
mitfühlender Präsident gewesen. Das hat gut getan nach den
Verwerfungen, die seine beiden Vorgänger hinterlassen hatten.
Bellevue ist dank Gauck wieder ein Ort der Würde geworden. Aber auch
ein Ort des Dialogs. Diesen Anspruch hat er erfüllt. Der Präsident
hat die Deutschen obendrein gelehrt, dass ein reiches und stabiles
Land wie ihres politisch mehr Verantwortung übernehmen muss. Das war
eine unangenehme Botschaft, die Gauck jedoch anders als alle anderen
seiner Vorgänger nicht gescheut hat. Noch etwas wird bleiben: Sein
Einsatz für die Freiheit, die es in Deutschland gibt, die aber alles
anders als selbstverständlich ist. Dieses Gaucksche Vermächtnis ist
wichtiger denn je, wenn man allein in die Türkei schaut. Der neue
Herr im Schloss Bellevue tritt in große Fußstapfen.
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