(ots) - Es gibt wahrscheinlich keinen
Bundespräsidenten, der im höchsten Staatsamt weniger in der Welt
herumreist, als im Amt zuvor. Für den gestern als 12. deutsches
Staatsoberhaupt vereidigten Frank Walter Steinmeier trifft dies
allerdings zu. Auch für den ehemaligen Minister mit mehreren
Hunderttausend Flugkilometern im Dienst könnte das Bonmot zutreffen,
das einst für Hans-Dietrich Genscher galt: Begegnen sich zwei
Flugzeuge in der Luft - in beiden sitzt der deutsche Außenminister.
Der SPD-Politiker war zusammengenommen fast acht Jahre lang der
oberste deutsche Chefdiplomat. Er kennt die Krisenherde dieser Welt
nicht nur aus dem Fernsehen, sondern aus eigener Anschauung. Ukraine,
Syrien, Irak, Iran und und und. Steinmeier hat in dieser "aus den
Fugen geratenen Welt" (Shakespeare) dazu beigetragen, Frieden wieder
herzustellen, Konflikte zu entschärfen, zumindest für ein wenig
Hoffnung zu sorgen. Nun erfolgt der radikale Wechsel vom obersten
deutschen Krisenmanager ins oberste Repräsentationsamt dieser
Republik ins schöne Schloss Bellevue an der Spree. Statt mit
Regierungschefs und Außenministern anderer Länder in unendlichen
Verhandlungsrunden zu sitzen, wurde Steinmeier ins Amt des -
gleichsam - obersten Mutmachers der Nation gewählt. In seiner ersten
großen Rede im neuen Amt gestern vor Bundestag und Länderkammer hat
sich der Neu-Präsident dieser Rolle schon mal als würdig und
gewachsen erwiesen. Er hat die Herausforderungen, vor denen die
deutsche Gesellschaft, Europa, die Welt stehen, scharf und ohne
Beschönigungen beschrieben. Vor allem aber hat er sich als ein kluger
und überzeugender Streiter für Demokratie empfohlen. Und so einen
braucht das Land. Nicht nur jetzt, aber jetzt ganz besonders.
Freilich, Bundespräsident Steinmeier mag nicht ganz so warmherzig,
nicht ganz so volksnah wie sein Vorgänger, der frühere Rostocker
Pfarrer Joachim Gauck, daher kommen. Doch als konsequenter
Verteidiger der Demokratie steht er Gauck in nichts nach. Zugleich
dürfte Steinmeier noch politischer agieren und reden als der
pastorale Gauck. Steinmeier liebt Klartext, auch dort, wo Gauck
vielleicht eine Wortgirlande drehte. Sein Appell an den türkischen
Präsidenten Erdogan, die unsäglichen Nazi-Vergleiche zu unterlassen
und Signale der Entspannung zu zeigen, sind klar und
unmissverständlich. Hier redete der Außenminister, der inzwischen den
Job des Präsidenten inne hat. Beides passt offenbar zusammen. Dabei
war Steinmeier, der erst nach einem Ãœberraschungs-Coup des damaligen
SPD-Chefs Sigmar Gabriel zum Präsidenten-Kandidaten der Großen
Koalition wurde, nicht unumstritten. Die Union hatte keinen
vergleichbaren Kandidaten oder eine Kandidatin aufzubieten. Angela
Merkel fügte sich in die Personalie klaglos drein. Nur nicht noch
einen Wahlkampf innerhalb der Koalition, mag sie sich gedacht haben.
Das war allerdings noch vor dem Schulz-Hype der SPD. Dass Steinmeier
einst sozusagen der Erfinder der Agenda 2010 im Auftrag von
Ex-Kanzler Gerhard Schröder war, ist noch nicht ganz vergessen.
Steinmeier war viele Jahre lang die rechte Hand Schröders. Erst in
Hannover, dann im Berliner Kanzleramt. Für manchen politischen Coup,
aber auch manchen "Verkehrsunfall" in der rot-grünen Koalition trägt
Steinmeier eine Mitverantwortung. Allerdings ist der grauhaarige
Niedersachse längst aus dem Schatten seines Ziehvaters und einstigen
Chefs herausgetreten. Bundespräsident Steinmeier kann in den nächsten
Jahren zeigen, dass er ein demokratischer Mutmacher, ein kluger
Anstoßgeber und ein lebensnaher Versöhner ist.
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