(ots) - Wahlprogramme sind überschätzt. Fast niemand liest
sie, nur Spezialisten und Lobbygruppen nehmen sie detailliert zur
Kenntnis. Für die interne Identitätsfindung der Parteien sind sie
wichtiger als für die Wähler. Die Wahl entscheiden eher Gefühle: Bei
wem fühlt man sich sicher, wem will man es zeigen? Wer wirkt
sympathisch, wer nicht? Und dergleichen. Das Wichtige an
Wahlprogrammen aus Sicht der Wähler sind allenfalls wenige
Signal-Forderungen, die für das Ganze stehen. So gesehen ist die
Lust, mit der sich die SPD-Funktionäre mal wieder in die
Formulierungsschlacht um Details warfen, vergebene Liebesmüh. Weniger
wäre mehr gewesen. Bei der SPD fehlt es ganz erkennbar an
Koordinierung. Sigmar Gabriel kündigt an, was er will und wann er es
will, Landesfürsten stellen eigene Steuerkonzepte vor, und dann
kommen noch Ungeschicklichkeiten der Parteizentrale bei der
Präsentation der Beratungsergebnisse dazu. Eine Ursache dafür ist
wohl, dass Martin Schulz sehr spät als entscheidender Akteur an die
Spitze kam und Kandidat und Programm nun in Ãœbereinstimmung gebracht
werden müssen. Schulz' Gründlichkeit in Ehren, aber wenn sie nun auch
noch dazu führt, dass die SPD in den zentralen Bereichen Steuern und
Rente ohne Konzept in den Sommer geht, weil noch nicht alles perfekt
durchgerechnet ist, dann wird das genauso kontraproduktiv sein wie
das Chaos am gestrigen Montag. Die SPD ist Angreifer, da will man
schon wissen, womit sie angreift, womit sie lockt. Gegenwärtig aber
vermittelt sie nur, dass sie fast keine Steuern senken will und dass
sie das Thema Gerechtigkeit noch nicht auf wenige eingängige
Forderungen zu reduzieren vermag. Weil sie ihre Diskussionen nicht so
inbrünstig führt wie die Genossen, ist die Union nicht so sehr im
Fokus der Öffentlichkeit. Man kann und muss man Programmarbeit aber
mit dem gleichen kritischen Blick betrachten. Besser gesagt: ihre
Nicht-Programmarbeit. Im Grunde haben CDU und CSU nur drei
Kernbotschaften: erstens Angela Merkel. Zweitens Weiter so. Drittens
Steuergeschenke. Gibt es für Flüchtlinge nun eine Obergrenze oder
nicht? CSU und CDU haben beides im Angebot. Formelkompromisse
übertünchen Konflikte wie die um die doppelte Staatsangehörigkeit
oder die Ehe für alle. Hauptsache keine Fortsetzung des Streits der
vergangenen Monate. Harmonie war in Wahlkampfzeiten schon immer die
Hauptstrategie der Union, die vielleicht auch deshalb seit zwölf
Jahren Kanzlerin-Partei ist. Für die Verabschiedung des Wahlprogramms
wird nicht einmal ein Parteitag einberufen, so unwichtig ist das
Papier. Es gleicht bei der Union eher einer Wundertüte. Man guckt
später, was drin ist. Und ob überhaupt etwas drin ist. Aber beim Kauf
stimmt das Gefühl.
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