(ots) - Welch eine Peinlichkeit! Eine
Geschichtsvergessenheit sondergleichen, und das ausgerechnet von
einem promovierten Historiker! Als Helmut Kohl im Mai 1985 gemeinsam
mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan sichtlich verunsichert über die
Kriegsgräberstätte in Bitburg irrte, hatte sein Auftreten einmal mehr
nichts Gravitätisches, nichts Staatsmännisches. Er wirkte mit seiner
massigen Gestalt wie ein tapsiger Bär im Käfig der globalen
Aufmerksamkeit. Auf dem Friedhof waren auch Angehörige der Waffen-SS
bestattet. Was als große Versöhnungsgeste zum 40. Jahrestag der
deutschen Kapitulation gedacht war, geriet zur Farce. Der
linksliberal geprägte publizistische Mainstream der alten
Bundesrepublik sah sich in allen Vorurteilen bestätigt, die er
während der damals schon gut zweieinhalb Jahre währenden
Kanzlerschaft des vermeintlich so bräsigen Pfälzers angehäuft hatte.
Vom Satiremagazin Titanic als "Birne" verspottet, wurde Kohl
innenpolitisch als fantasieloser Aussitzer und außenpolitisch als
serviler Erfüllungsgehilfe der aggressiven US-Politik verhöhnt. Große
Teile der Babyboomer-Generation revoltierten gegen Kohls schwammige
Vision einer "geistig-moralischen Wende" im Land, die sie als
Renaissance der bleiernen Fünfzigerjahre unter Konrad Adenauer
begriffen. Millionen gingen gegen die Stationierung atomarer
Mittelstreckenraken auf die Straße. Und überhaupt: War dieser
CDU-Provinzpolitiker nicht erst durch eine Art kalten Putsch ins Amt
gekommen, durch das schmähliche Überlaufen der FDP, durch den Verrat
am allseits geachteten Bundeskanzler Helmut Schmidt? Kurzum: Dieser
Helmut Kohl galt als tiefgreifendes Missverständnis der
bundesdeutschen Geschichte, das nicht von Dauer sein konnte. Was für
ein Missverständnis! Als Kohl, der scheinbar ewige Kanzler, 1998
abtrat, war ihm ein Platz in den Geschichtsbüchern längst sicher.
Dass er wie so viele große Figuren der Geschichte den rechten
Zeitpunkt zum Abschied verpasst hatte, dass er mit seinem
berüchtigten Starrsinn in der nie ganz aufgeklärten CDU-Spendenaffäre
selbst seine engsten Weggefährten vor den Kopf stieß, dass er - von
schweren Krankheiten gezeichnet - in seinen späten Jahren als
rachsüchtiger Patron auftrat: All das kratzte an seiner Reputation.
Allein: Sein Denkmal konnte es nicht mehr beschädigen. Eine
Jahrhundertgestalt ist von uns gegangen. Auch Helmut Kohl hat es
nicht vermocht, aus Gegnern Bewunderer zu machen. Doch Respekt
zollten dem "Alten" zum Schluss fast alle, über Parteigrenzen hinweg.
Nun lässt sich trefflich darüber räsonieren, ob der Kanzler der
Einheit während des epochalen Umbruchs nur mit dem Glück im Bunde
war. Es ist letztlich müßig. Politisches Geschick bewies Helmut Kohl
allemal. Seine Gesprächspartner auf internationalem Parkett für sich
einzunehmen, war ohnehin seine hervorstechendste Eigenschaft. Er war
letztlich ein Meister der Saumagen-Diplomatie. Oder kann man sich ein
gegensätzlicheres und doch harmonierendes Paar als Kohl und
Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand vorstellen? Im
Zusammenhang mit Kohl ist oft vom "Mantel der Geschichte" die Rede.
Er hat ihn ergriffen und sich damit in der kollektiven Erinnerung der
Nation unsterblich gemacht - bei allen menschlichen Schwächen. Helmut
Kohl hat sich um Deutschland verdient gemacht. Was lässt sich über
den Verstorbenen mehr sagen?
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