PresseKat - Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu der Regierungskrise in Niedersachsen

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu der Regierungskrise in Niedersachsen

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(ots) - Was ist nur in Deutschland los? Die Autokonzerne
betrügen ihre Kunden und kommen mit einem lächerlichen
Software-Update davon, ein Grüner lädt CDU-Vize Julia Klöckner zur
Vorstellung seines Buches ein und zum Wochenende platzt die
politische Bombe. Sieben Wochen vor der Bundestagswahl und fünf
Monate vor der Landtagswahl in Niedersachsen steht der dortige
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plötzlich ohne Mehrheit da. Die
Folgen sind gravierend und reichen bis nach Berlin.

Man kann es kaum glauben, aber es stimmt tatsächlich: Eine Grüne
will zur CDU wechseln und sorgt dafür, dass die rot-grüne
Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament wie ein Kartenhaus zusammenbricht.

Es ist noch unklar, wie es in Niedersachsen konkret weitergehen
wird. Möglicherweise kommt es im Herbst zu Neuwahlen. Richtig so. Der
Wähler muss nach diesem politischen Beben entscheiden. Zudem lässt
sich Ministerpräsident Stephan Weil nicht so einfach aus dem Amt
jagen - aus verständlichen Gründen. Denn warum sollte er den Kopf für
einen Vorgang hinhalten, den vermutlich weder er noch seine Partei zu
verantworten haben? Ganz gleich, ob die Grünen-Abgeordnete Elke
Twesten beraten wurde oder nicht: Weil spricht öffentlich von einer
Intrige. Indirekt wirft er somit der Abtrünnigen vor, einen geheimen
Plan ausgeheckt zu haben, um anderen Menschen zu schaden. Vielleicht
richtet sich der Vorwurf auch gegen die CDU.

Auch ohne die Beweggründe der Politikerin ganz genau zu kennen,
ist »Musik« drin in dieser schmutzigen Debatte am Ende der Ferien in
Niedersachsen. Als wenn die Abgeordneten nicht schon genug mit dem
Diesel-Skandal und den Kungel-Vorwürfen im Volkswagen-Land zu tun
hätten. Schließlich ist der Ministerpräsident qua seines Amtes seit
2013 Mitglied im Aufsichtsrat der Volkswagen AG. Niedersachsen ist




eben ein besonderes Pflaster. Es ist die Heimat Sigmar Gabriels,
Hubertus Heils und Thomas Oppermanns, also der halben
SPD-Parteispitze.

Was heißt das alles nun für die politische Großwetterlage im
Hinblick auf die anstehenden Wahlen? 1.) Für die Grünen insgesamt ist
das Verhalten ihrer ehemaligen Politikerin eine Katastrophe. Auch
wenn Elke Twesten zu kritisieren ist, weil ihr Wechsel zur Unzeit
kommt. Auch wenn sie selbst die Lawine losgetreten hat, so werden die
Grünen davon Schaden nehmen. Die Wähler werden sich die Frage
stellen, wie man so eine Partei noch wählen kann, wenn man am Ende
nicht mehr weiß, in welcher Fraktion der oder die Gewählte sich
hinterher befindet? Es wird den Grünen nicht reichen, sich von der
»Umfallerin« zu distanzieren. Zu groß ist der Vertrauensverlust, zu
ramponiert die Glaubwürdigkeit. Bei der Bundestagswahl kann es für
die schwächelnde Partei jetzt ganz eng werden, ins Parlament zu
kommen. 2.) Die Regierung Weil hat keine Mehrheit mehr. Der SPD
droht, ein weiteres Bundesland zu verlieren. Der Plan, mit einer
Wackel-Mehrheit zu regieren, ist gescheitert. Folglich wird auch die
SPD insgesamt Federn lassen. Auf Bundesebene könnte sie jetzt sogar
auf unter 20 Prozent rutschen. Da kann Kandidat Martin Schulz noch
so viel von Verrat rufen - am Ende ist es seine Partei, die keine
stabile Regierung zustande bekommen hat. 3.) CDU und FDP sind
unfreiwillig wohl die größten Profiteure. Im Bund wird das mögliche
schwarz-gelbe Regierungsbündnis in Umfragen weiter an Stabilität
gewinnen. Ob die niedersächsische CDU sich auch nach der ersten
Freude noch über den seltenen Neuzugang der Grünen begeistern wird
können, sei dahingestellt. Allein durch den Wechsel wird Frau Twesten
ja nicht plötzlich glaubwürdig. 4.) Angela Merkel kann sich ins
Fäustchen lachen. Während sie in den Südtiroler Bergen von Gipfel zu
Gipfel wandert, stürzt Martin Schulz weiter ab. Gleichzeitig ist der
Diesel-Skandal zunächst aus den Hauptschlagzeilen und der politische
Mitbewerber mal wieder so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass die
Bundestagswahl eigentlich gelaufen ist. Auch wenn der Wahlkampf noch
gar nicht begonnen hat.



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Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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Datum: 04.08.2017 - 21:00 Uhr
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