PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Rolle Weils in der VW-Affäre

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Rolle Weils in der VW-Affäre

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(ots) - In Niedersachsen gibt es ein Sprichwort: Wenn
Volkswagen einen Schnupfen hat, dann hat das Land eine
Lungenentzündung. Die Verflechtungen zwischen Europas größtem
Autobauer und der Landespolitik gehen Jahrzehnte, im Grunde in die
Gründungszeit des Unternehmens durch die Nationalsozialisten zurück.
Hitler wollte mit einem Volkswagen für 1000 Reichsmark die
Volksgenossen bei der Stange halten und ließ deshalb das Werk am
Mittellandkanal errichten. Bald jedoch wurden dort nur noch
Kübelwagen für die Wehrmacht produziert. Der bis in die 60er Jahre
hinein erfolgreiche VW Käfer geht auf eine Entwicklung von Ferdinand
Porsche zurück, der sich Hitler andiente. Unter dem VW-Patriarchen
Heinrich Nordhoff feierte das lange Zeit landeseigene Unternehmen in
den Jahren des Wirtschaftswunders zwar große Erfolge, doch es wurden
auch Entwicklungen auf dem Weltmarkt verschlafen. Erst mit dem neuen
Golf gelang Mitte der 70er Jahre eine Trendwende. Zuvor bereits
sicherte das VW-Gesetz dem Land Niedersachsen, das über eine
20-prozentige Minderheitsbeteiligung an der Volkswagen AG verfügt,
dass keiner der Anteilseigner mehr als 20 Prozent der Stimmrechte
ausüben darf. Der wechselseitige Einfluss von VW und Regierung in
Hannover - heute muss man sagen die Verfilzung beider Seiten - ist
strukturell angelegt, war und ist politisch gewollt. Seit Jahrzehnten
gibt es ein Kartell von Volkswagen und Landesregierung. Und zwar
egal, wer in Hannover regiert hat, ob CDU oder wie jetzt die SPD mit
Rot-Grün. Doch die Nähe der Politik zur Autoindustrie und umgekehrt
ist beileibe nicht auf Niedersachsen beschränkt. Bayern liegen die
Geschicke von BMW oder Audi ebenso am Herzen, wie sich
Baden-Württemberg um Daimler oder Nordrhein-Westfalen um Ford
kümmert. Die Konzernbosse finden zudem immer ein offenes Ohr im
Kanzleramt, egal ob die Regierungschefs Helmut Kohl, Gerhard Schröder




und jetzt Angela Merkel hießen. Dabei ist nicht die Frage, ob sich
die Politik um die Interessen der Autobauer kümmert, die in
beträchtlichem Maße Arbeitsplätze schaffen und zum Wohlstand
beiträgt, sondern wie sie das tut. Der Dieselskandal hat gezeigt,
dass die Kungelei in Hinterzimmern, dass lasche Kontrollen durch
staatliche Behörden, wie etwa das Kraftfahrtbundesamt, die
Abgasbetrügereien erheblich begünstigt haben. So wie Verkehrsminister
Alexander Dobrindt, der sich eher als oberster Autolobbyist versteht,
heikle Abgas-Prüfberichte vorab mit den Autokonzernen abstimmte, so
hat der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil seine
Regierungserklärung zum VW-Skandal vom Oktober 2015 zum Konzern nach
Wolfsburg geschickt. Dort wurde sie an wichtigen Stellen kräftig
weichgespült. Die jetzige Empörung darüber, dass sich der
SPD-Regierungschef von Niedersachsen seine Landtagsrede von
Volkswagen redigieren ließ, ist berechtigt. Hier machte sich der Bock
zum Gärtner. Zugleich steckt hinter der jetzigen Attacke gegen Weil
auch eine große Portion Scheinheiligkeit sowie Wahlkampfkalkül. Nicht
nur Weil, sondern auch der Kanzlerinnen-Herausforder Martin Schulz
und die SPD sollen möglichst klein gehalten werden. Der VW-Skandal
verknüpft sich auf wundersame Weise mit dem derzeitigen politischen
Ränkespiel in Hannover, dass durch eine verärgerte, abtrünnige
Grünen-Abgeordnete ausgelöst wurde. Der Dieselskandal der deutschen
Autoindustrie ist nur durch völlig Transparenz und die Übernahme der
Verantwortung durch die Konzerne zu lösen, die politische Krise
Niedersachsens nur durch baldige Neuwahlen.



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Datum: 06.08.2017 - 18:26 Uhr
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