(ots) - Die Trump-Ära mit ständig neuen
Ungeheuerlichkeiten aus dem Weißen Haus, die Verrücktheiten der
britischen Brexit-Erzwinger oder die Zertrümmerung demokratischer
Werte durch den türkischen Regierungschef Recep Erdogan haben das
politische Schmerzempfinden nach unten geschraubt. Klein mutet im
Vergleich die Plagiatsaffäre Karl-Theodor zu Guttenbergs an, die 2011
Deutschland bewegte und dieser Tage wieder ins Bewusstsein rückt,
weil der frühere Bundesverteidigungsminister im Bundestagswahlkampf
ein politisches Comeback austestet. Es stellt sich die Frage nach dem
Verfallsdatum seiner Affäre. Kann einer wie er, der nicht nur bei
seiner Doktorarbeit betrogen hat, sondern sein Vergehen danach erst
leugnete, bevor er es scheibchenweise eingestand, bald wieder
politische Verantwortung tragen? Bei Anderen, die auf ihre Weise
gefehlt haben, ist die Rückkehr geglückt. Grünen-Parteichef Cem
Özdemir hat den Skandal um Bonusmeilen in den Kredit eines
PR-Beraters, dem 2002 sein vorläufiger Rückzug folgte, ohne
dauerhaften Schaden für sein Ansehen überstanden. Gleiches gilt für
den Linken-Politiker Gregor Gysi und seine Bonusmeilen-Skandal im
gleichen Jahr. Prominentestes Beispiel eines politischen Ãœberlebens
in früheren Jahren ist CSU-Größe Franz Josef Strauß, der 1962 trotz
Spiegel-Affäre und Rücktritt als Bundesverteidigungsminister
unaufhaltsam weiter Karriere machte. Doch es gibt auch die vielen
anderen Biografien, für die ein Sturz ein Ende ohne Wiederkehr
bedeutete: Der frühere SPD-Ministerpräsident Björn Engholm ist hier
zu nennen. Er hatte vorgetäuscht, nicht gewusst zu haben, dass er von
CDU-Mann Uwe Barschel bespitzelt wurde - und so die eigene
Glaubwürdigkeit verspielt. Wohin sich für Guttenberg die Waage neigt,
wird sich am Ende des Bundestagswahlkampfes zeigen. Bei seinen
Auftritten quer durch die bayerischen Regierungsbezirke wird klar
werden, ob er neben neuem politischen Sendungsbewusstsein auch die
nötige Demut vermittelt. Guttenberg stößt offensichtlich bei vielen
auf große Bereitschaft, ihm zu verzeihen. Das zeigt der Andrang, den
die CSU bei seinen Veranstaltungen verzeichnet. Es ist ein Vorschuss
an neuem Vertrauen, der rasch verspielt werden kann, falls die
Zuhörer spüren, dass er aus seinen Fehlern nichts gelernt hat. Doch
wenn Guttenberg im Herbst 2017 alles richtig macht, bekommt er in der
CSU ein Freiticket für ein echtes Comeback. Parteichef Horst Seehofer
wird es ihm gerne in die Hand drücken - nicht allein, weil Guttenberg
das Mächteverhältnis unter den CSU-Kronprinzen neu austariert und das
Potenzial hat, die Wege von Finanzminister Markus Söder zu stören.
Die größten Guttenberg-Fans wähnen ihn nach der Bundestagswahl
bereits an der Spitze des Bundesaußenministeriums. Eine kühne Idee,
ohne Erfolgsaussicht. Sie wäre mit Kanzlerin Angela Merkel wohl noch
weniger zu machen, als Seehofers Obergrenze für Flüchtlinge. Ein
Platz in Berlin im Jahr 2017 steht für Guttenberg nicht zur Debatte.
Er muss - wie andere Gestrauchelte - wieder von vorne anfangen,
vielleicht als Kandidat bei der Landtagswahl, mit Aussicht auf einen
Posten im nächsten Seehofer-Kabinett. Im Schachspiel der Macht in der
CSU wäre er beim Neustart nur eine wichtige Figur neben anderen. Er
müsste sich daran gewöhnen - anders als vor seinem Fall - nicht
länger scheinbar konkurrenzlos zu sein, bereit zum Sprung in die
höchsten Ämter seiner Partei. Zur selbstbewussten Konkurrenz zählen
nun neben Söder auch der Europapolitiker Manfred Weber und
Bundestagsspitzenkandidat Joachim Herrmann. Nicht zu vergessen: Horst
Seehofer selbst. Er gewährt einem geläuterten Guttenberg zwar
Absolution. Als CSU-Chef und Ministerpräsident will er sich aber
nicht aus dem Sattel stoßen lassen. Fährt Seehofer bei der
Bundestagswahl im 24. September nur annähernd das Ergebnis vom
letzten Mal ein, ist er fürs Erste ohnehin ziemlich unanfechtbar.
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