(ots) - Bitte geht trotzdem wählen" twittert eine junge
Berlinerin fast flehentlich, als das große TV-Duell vorüber ist.
Statt eines großen Showdowns politischer Kontrahenten erlebten gut 16
Millionen Fernsehzuschauer ein einträchtiges Duo, das man sich auch
gut beim gemeinsamen Kartoffelsuppelöffeln am Holztisch in der
Uckermark vorstellen kann. Mit den Spitzenpolitikern einer GroKo, die
sich im Geiste bereits auf eine weitere gemeinsame Legislaturperiode
einstimmen, ist kein feuriger Wahlkampf zu machen. Der Gillamoos und
der abendliche Fünfkampf in der ARD tags darauf zeigten deutlich: In
diesem Jahr sind es die Kleinen, die Zunder geben müssen. Und selbst
das reicht nur noch für ein gelegentliches Aufflackern. Für einen
heißen Wahlkampf 2017 ist es schon zu spät. Die Erwartungen an das
TV-Duell waren überzogen. Es war absehbar, dass Merkel und Schulz
kein schweres Gerät auffahren würden. Schließlich wurde die deutsche
Politik der vergangenen Jahre von beiden Parteien getragen. Mit
kleineren Gefechten war zu rechnen. Dass es in der direkten
Konfrontation dann allerdings nur für nadelfeine Piekser reichte, das
überraschte doch. Gewiss wurde in noch keinem TV-Duell so häufig
zustimmend genickt, wenn der Kontrahent sprach. Schulz' gelegentliche
Angriffslust perlte an Merkels selbstsicherer Gelassenheit ab. Unter
den vier Moderatoren herrschte da mehr Spannung. Den unangenehm
voreingenommenen Claus Strunz hatten die Kollegen nicht im Griff.
Dass die Debatte sich unverhältnismäßig lange an der
Flüchtlingspolitik der Vergangenheit aufhielt und Zukunftsthemen
hinten herunterfielen, lag auch an ihm. Unentschlossene haben trotz
97 Minuten Politik auf vier Kanälen kaum entscheidende Impulse für
ihre Wahlentscheidung erhalten. Das klappte beim Gillamoos schon
besser. Die Bierzelt-Redner lieferten wenigstens teilweise nach, was
am Vorabend inhaltlich versäumt worden war. Soziale Gerechtigkeit,
Bildung, Klimaschutz, Digitalisierung - in Abensberg kamen auch diese
Politikfelder zur Sprache. So kurz vor der Wahl wurde natürlich die
erste Garde in die Bierzelt-Bütt geschickt. Für Grüne, Linke, FDP und
AfD geht es noch um viel: darum, drittstärkste Kraft und vielleicht
das Zünglein an der Waage zu werden. Sie klopften ordentlich auf den
Busch. Es gehört zur Gillamoos-Folklore, beim Bier und auch
rhetorisch etwas kräftiger zuzupacken. Eine Ruckrede gelang trotzdem
keinem der Redner. Nicht einmal vor der eigenen Fankurve und mit der
Lizenz zum Hinlangen. Mit Themen punkten - das scheint 2017 so schwer
wie selten zuvor. Zu saturiert ist das Land, zu wohlig brummt die
Wirtschaft. Aus dem Flüchtlingsstrom ist ein Rinnsal geworden und bis
zur Rente ist es ja noch ein paar Jahre hin. Wo Gefahr lauert,
schickt die Kanzlerin rasch den Minenräumdienst: Ehe für alle,
Diesel-Millionen für die Kommunen, vielleicht doch noch ein Ausstieg
aus den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, nachdem Martin
Schulz das so forsch erklärt hat. Und auf keinen Fall die Rente mit
70 - obwohl die Forderung doch aus der eigenen Partei kommt. So ist
die Zielgerade für die alte und neue Kanzlerin frei. Die einzigen
Überraschungen in diesem Wahlkampf sind zwei neue Köpfe - junge,
dynamische Männer mit Drei-Tage-Bart und lässig offenem weißen Hemd:
Christian Lindner und Karl-Theodor zu Guttenberg, die smarten
Posterboys der FDP und der CSU. Sie tauchen auf wie Phönix aus der
Asche und werden - auch am Gillamoos - begeistert gefeiert. Ein
deutlicher Hinweis darauf, dass die deutschen Wähler zwar diesmal
noch auf Nummer sicher gehen - dass ihre Sehnsucht nach neuen,
unverbrauchten Gesichtern aber schon jetzt sehr groß ist und immer
weiter wächst.
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