(ots) - Gibt es gute und schlechte Gründe für eine
Autonomieforderung? Vielleicht. Doch nach dem Referendum in
Katalonien ist die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, erst einmal
verstrichen. Primäre Aufgabe ist es nun, zu verhindern, dass der
Streit weiter eskaliert. Danach kann daran gegangen werden, die
Scherben aufzusammeln. Erst dann haben Gespräche, die auf Vernunft
und eine einvernehmliche Lösung zielen, Aussicht auf Erfolg.
Aber wie lässt sich verhindern, dass sich der Kampf zwischen
Madrid und Barcelona noch zuspitzt? Auf die Regierungschefs Mariano
Rajoy und Carles Puigdemont zu setzen, scheint wenig Sinn zu machen,
so lange beide sich von einer Fortdauer des Streits Vorteile
versprechen. Doch eine Lösung ohne sie ist nicht möglich. Also muss
den beiden Politikern deutlich gemacht werden, wie viel sie bei einer
weiteren Eskalation verlieren: Madrid ist eine wirtschaftsstarke
Region und die für das verschuldete Spanien wichtige Unterstützung
aus Brüssel, Barcelona den Euro und die nicht nur für den eigenen
Export existenziell wichtige Einbindung in die EU.
Eine weitere Eskalation ist außer für Spanien und Katalonien auch
für die Europäische Union gefährlich. Regionen, die Autonomie fordern
können, gibt es viele. Die Flamen in Belgien, Korsen und Bretonen in
Frankreich, Norditaliener und Südtiroler in Italien, Schotten in
Großbritannien und natürlich die Basken in Spanien haben sie sogar
schon zu Papier gebracht. Hinzu kommen nationale Minderheiten wie die
Ungarn in Rumänien und Makedonen in Griechenland sowie die ungelöste
Zypernfrage. Kurzum: In Europa lagern so viele Pulverfässer, dass die
EU jedes kleine Feuer sofort löschen muss. Die Zeit, da
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Referendum als
»innerspanische Angelegenheit« abtun konnte, ist vorbei. Die
katalonische Unabhängigkeitsfrage hat eine Sprengkraft, die
mindestens so groß ist wie Staatenverschuldung und Flüchtlingsfrage.
Als Motiv für die Autonomieforderung der Katalanen werden meist
finanzielle Argumente genannt. Doch der Konflikt zwischen der Region
und Kastilien ist älter und tiefer gehend. Nur schien er nach Francos
Tod und dem 2006 verabschiedeten Autonomiestatus überwunden. Alles
wäre gut, wäre der Status nicht revidiert worden.
Die Lösung für die Nationalitätenfrage in Europa wäre eine EU, die
das, was in den Regionen entschieden werden kann, den Regionen
überlässt. Doch darauf kann und will Barcelona vermutlich nicht
warten.
Auch wenn die Zeit drängt, sollte der Katholik Jean-Claude Juncker
doch zwei Zwischenstopps einlegen: im weltbekannten spanischen
Pilgerort Santiago de Compostela und in Montserrat bei der Schwarzen
Madonna, der Volksheiligen der Katalanen. Spanien, Katalonien und
Europa brauchen schließlich jede Unterstützung.
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