(ots) - Gut möglich, dass die SPD am Sonntag die
Landtagswahl in Niedersachsen gewinnt. Gut möglich, dass sich dann
ein Gefühl breitmacht in der Partei, dass es jetzt wieder aufwärts
gehe und man auf dem richtigen Weg sei. Gut möglich, dass dann bei
der nächsten Bundestagswahl aber auch nur noch etwas mehr als zehn
Prozent der Menschen die SPD wählen, so wie im September an vielen
Orten in Ostbayern geschehen. Die Niedersachsen-Wahl werden regionale
Themen entscheiden: die Bilanz der rot-grünen Landesregierung von
Ministerpräsident Stephan Weil etwa und der Sturz dieser Regierung
durch den seltsamen Seitenwechsel der Grünen-Abgeordneten Elke
Twesten zur CDU. Und egal, wie es am Sonntag ausgeht: Die deutsche
Sozialdemokratie hat danach einen harten, langen Weg vor sich, um dem
Abgrund zu entkommen. Die SPD braucht ein Zukunftsprogramm und sie
braucht ein reinigendes Gewitter. Sonst schrumpft sie zur
Kleinpartei. Ein Zukunftsprogramm ist für die SPD so nötig wie ein
Fundament für ein neues Haus. Ohne es bröckelt die Partei. Dieses
Programm sollte auf dem Thema aufbauen, wegen dessen die SPD groß
wurde - und für das sie heute in den Augen der meisten nicht mehr
steht: Gerechtigkeit. In Befragungen am Tag der Bundestagswahl gaben
80 Prozent der Wähler an, die SPD sage nicht genau, was sie für
soziale Gerechtigkeit tun will. 58 Prozent meinten, die Partei setze
sich nicht mehr genug für sozial Schwache ein. Im Deutschland des
Jahres 2017 sehnen sich Millionen Menschen nach mehr Gerechtigkeit:
Menschen in Mini-Jobs, die auf die Altersarmut zusteuern; junge
Paare, die keine Familie gründen, weil sie sich von einem befristeten
Arbeitsvertrag zum nächsten hangeln; Menschen mit
Migrationshintergund, die Tag für Tag erleben, dass sie nicht
dieselben Chancen haben wie ihre Mitbürger mit deutschen Eltern. Der
Umfragen-Boom der SPD zu Jahresbeginn hat gezeigt, welches Potenzial
für die SPD in dieser Sehnsucht steckt. Martin Schulz versprach
damals in den TV-Studios, Stadthallen und Bierzelten unablässig mehr
Gerechtigkeit und Respekt. Doch dann haben Schulz und seine
Wahlkampfmanager die Sehnsüchtigen enttäuscht: Sie haben den Menschen
nicht klargemacht, wie sie Deutschland gerechter machen wollen. Das
muss die SPD in der Opposition nachholen. Sie muss politische Rezepte
erarbeiten, mit denen in einer globalisierten und digitalisierten
Welt sichere, menschenwürdig bezahlte Jobs gefördert werden können.
Sie muss konkrete Vorschläge dafür präsentieren, wie sie
Steuergerechtigkeit und Chancengleichheit schaffen will, wie sie
abgehängte ländliche Regionen stärken und die Bildung modernisieren
will. Ein reinigendes Gewitter braucht die SPD, weil die Partei mit
sich selbst im Unreinen ist. Von den Hartz-Gesetzen bis zu den
Spitzensteuersätzen: 1998 bis 2005 sind unter dem SPD-Kanzler Gerhard
Schröder politische Entscheidungen gefällt worden, die Deutschland
ungerechter gemacht haben. Das haben Millionen Wähler den
Sozialdemokraten nicht verziehen. Die SPD muss dringen intern klären,
wie sie zum Erbe dieser Jahre steht, was sie davon retten will und
was nicht - und diese Haltung dann den Menschen in Deutschland
erklären. Sonst bleibt sie in den Augen vieler die
Hartz-IV-und-Minijob-Partei. Reinigendes Gewitter, das bedeutet aber
auch, dass die SPD-Verantwortlichen von Parteispitze bis Ortsverein
sich von prominenten Genossen distanzieren müssen, deren Verhalten
die Wähler zur Weißglut bringt. Altkanzler Schröder ist so ein
Genosse. Seine Lobby-Tätigkeit für Rosneft, den Mineralöl-Giganten
von Wladimir Putins Gnaden, torpediert das Image der Partei. Und in
Regensburg steht SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs seit
anderthalb Jahren im Zentrum des größten kommunalpolitischen Skandals
in Deutschland seit Jahrzehnten. Die Staatsanwaltschaft hat ihn nach
über einem Jahr Ermittlungen wegen Bestechlichkeit angeklagt. Es gilt
die Unschuldsvermutung, aber der Fall lastet in der Region
tonnenschwer auf dem Image der Partei. Doch mancher führende SPDler
in Ostbayern schweigt sich aus oder wettert gegen Justiz und Medien -
anstatt klare Kante zu zeigen. Wirklich: Das wird ein harter, langer
und steiler Weg für die SPD. Doch nur wer steile Wege geht, kann sich
auf schöne Aussichten freuen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell