(ots) - Wann ist die Einheit vollendet? Wenn der erste
Ostdeutsche in einem westdeutschen Grundbuch steht." Für diesen
Nachwendewitz gäbe es auch heute noch in jedem Ostkabarett
Szenenbeifall. "Und das alles von unserem Soli...". Diese Bemerkung
angesichts prächtig sanierter Innenstädte in den neuen Bundesländern
würde an jedem westdeutschen Stammtisch mit beifälligem Kopfnicken
quittiert. Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sind die
Deutschen kein einig Volk von Brüdern, liegen sich nicht im
patriotischen Einheitstaumel in den Armen. Sie gleichen vielmehr
einer Großfamilie mit Lieblingscousins, verhassten Geschwistern und
verehrten Großeltern, mit Glückspilzen, Pechvögeln und schwarzen
Schafen; einer Familie, in der man einander mit Respekt und Liebe,
aber auch mit Neid und Missgunst begegnet. Zwar hinken die neuen
Bundesländer bei Einkommen, Produktivität und Arbeitsplätzen der
alten Bundesrepublik hinterher. Doch es gibt zwischen Aachen und
Görlitz, zwischen Ostsee und Alpen längst ganz andere Gräben und
Gegensätze als nur zwischen Ost und West. Die in den letzten Wochen
bundesweit geführten Debatten um muslimische Parallelwelten oder
Hartz-IV-Sätze sind Belege hierfür. Ist es bei dieser Perspektive
richtig und wichtig, den 20. Jahrestag des Beitritts der DDR zur
Bundesrepublik zu feiern, mit Festakten an ihn zu erinnern, ihn in
Sondersendungen zu würdigen, in Talkshows zu analysieren? Dreimal Ja.
Denn dieses Datum steht vor allem für die erste gelungene friedliche
Revolution in unserer Geschichte, dafür, dass Grenzen verändert
wurden, ohne einen Schuss abzugeben, dass Deutschland und Europa ein
neues Gewicht und Gesicht bekamen. Zu diesem neuen Gesicht gehören
allerdings Spuren und Falten, die auch nach zwanzig Jahren nicht
geglättet sind. Und zur Debatte dieser Tage gehört das Nachkarten, ob
sie vermeidbar gewesen wären. Wurde aus dem Freiheitsslogan "Wir sind
das Volk" zu schnell das fordernde "Wir sind ein Volk?" War der von
der Politik gegen Expertenrat durchgesetzte Währungsumtausch zum Kurs
von 1:1 unvermeidbar? Verhinderte die Treuhand-Maxime "Rückgabe vor
Entschädigung" nicht zügige Investitionen? Vernichtete beides nicht
millionenfach erhaltenswerte Arbeitsplätze? Hinter jeder dieser
Fragen steckt in Teilen berechtigte Kritik, und sie werden vor allem
von jenen gestellt, denen die ganze Richtung von Anfang an nicht
passte, den SED-Erben in der heutigen Linken zumal. Auf jede dieser
Fragen gibt es aber auch zwei schier unwiderlegbare Antworten: Das
Zeitfenster für eine Wiedervereinigung schien angesichts der fragilen
Machtverhältnisse in Moskau und der Skepsis unserer Nachbarn nur für
kurze Zeit offen, diese Zeit musste beherzt genutzt werden. Und für
die Umwandlung einer sozialistischen Planwirtschaft in eine soziale
Marktwirtschaft gab es in der Geschichte kein Beispiel und in
Wirtschaft und Wissenschaft keine Gebrauchsanweisung. Undankbar nennt
der CDU-Bundestagsabgeordnete und einstige DDR-Bürgerrechtler Arnold
Vaatz angesichts dieser Begleitumstände die Ostdeutschen. Er verweist
auf Polen, Tschechen oder Slowaken, die einen solchen Wandel ohne
Hilfe bewältigen mussten und denen es heute immer noch schlechter
geht. Nun ist Dankbarkeit keine politische oder historische
Kategorie. Wir sollten es, beiderseits der ehemaligen innerdeutschen
Grenze, vielleicht eine Nummer kleiner und menschlicher nehmen, uns
schlicht und einfach freuen. Darüber, dass zur Einheit auch die
Freiheit kam, die Freiheit, zu reden, was man will und zu reisen,
wohin man will. Beispielsweise von Hannover nach Leipzig, ganz ohne
bürokratischen Antrag und ohne nervende Grenzkontrolle. Immer wieder
schön - auch nach zwanzig Jahren.
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Petra Rückerl
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