(ots) - Es nimmt kein Ende. Gestern Nachmittag, so zwischen
Mittagessen und Vorstandswahlen, trennt sich Angela Merkel von ihren
alten Männern. Von Beust, Althaus, Rüttgers, Koch. Auch Wulff. Der ja
nicht mehr dabei sein darf als überparteilicher Bundespräsident auf
einem CDU-Parteitag. Es ist die Stunde des Abschieds. Die Delegierten
erheben sich zum großen Schlussapplaus. Alle geschafft. Dann wählen
sie wieder Angela Merkel. 90,4 Prozent für die Kanzlerin. Weniger
hätten es auch nicht sein dürfen. Wenn es ein Ziel gibt für dieses
christdemokratische Familientreffen, dann dieses: Jedes Anzeichen von
Krise, von Nervosität, von Niedergang gar ist zu vermeiden.
Stattdessen soll Karlsruhe, soll der 23. CDU-Bundesparteitag für
Neuanfang, Entschlossenheit, Siegeswillen stehen. "Werft die
Prognosen in den Papierkorb", empfiehlt die Kanzlerin. Ja, wenn es so
einfach wäre. Also hat Merkel einen sehr kämpferischen Ton vorgegeben
in ihrer großen Parteitagsrede, nicht hundertprozentig überzeugend,
aber für ihre distanziert-kühl-verschmitzten Verhältnisse doch ganz
eindrucksvoll. Sie hat sich ehrlich gemacht, wie Franz Müntefering
das säubernde Eingestehen eigener Fehler einmal bewährt verkürzt
genannt hat. Sie hat dann Grüne und Sozis abgewatscht und sich dabei
erneut ihres alten Vizekanzlers bedient - Opposition sei nicht Mist,
"diese Opposition macht Mist". Sie ist weder Barack Obama noch der
Anti-Atomkraftbewegung auch nur einen Millimeter entgegengekommen,
sondern hat an der umstrittenen Laufzeitverlängerung für die
Atomkraftwerke ebenso festhalten wie an ihrer sehr massiven Kritik an
der Geldpolitik des US-Präsidenten. Angela Merkel hat klare Kante
gezeigt an diesem Karlsruher Morgen. Und sie hat es sogar geschafft,
den in ihr immer stärker lodernden Sarkasmus, ihren Unwillen über die
bundesrepublikanische Stimmungsdemokratie einigermaßen zu
kanalisieren. Ausdrücklich richtet sie den Vorwurf der Heuchelei an
die gerade überfliegenden Grünen, aber sie trifft und meint auch die
eigene Partei, die eigenen Wähler. In Merkels Formulierung, dass
Deutschland nicht an einem Zuviel an Islam, sondern an einem Zuwenig
an Christentum leide, wird diese Empörung über das eigene Lager, über
das Feuer, das die Sarrazin-Debatte auch in der Christlich
Demokratischen Union legen konnte, für einen Moment spürbar. An
dieser Stelle ist die Kanzlerin sehr bei sich - aber nicht in der
Mitte ihrer Partei, deren Mitgliedern und Wählern es eben viel
leichter fällt über Islamisierung zu schimpfen als christliche Werte
tatsächlich zu leben. Es wird für Merkel und ihre neue Führungsriege
- Röttgen, von der Leyen, Bouffier, auch Schavan, die blasse - darauf
ankommen, diese, nicht auf das Thema Migration beschränkte,
emotionale Lücke zwischen Basis und Parteispitze mit Argumenten und
Überzeugungskraft in den kommenden Monaten zu schließen. Dann, nur
dann, wird der Parteitag von Karlruhe ein Neuanfang für die Union
sein und nicht der Anfang vom Ende der Ära Merkel.
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