(ots) - Diesem Mann gebührt Hochachtung und Respekt: Es
ist bewundernswert, wie Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg
an der Seite der Menschen seines Landes steht. Wie er Trost spendet
und die richtigen Worte findet. Nach dem Verbrechen mit nunmehr 77
Toten reagiert der Regierungschef und mit ihm ganz Norwegen auf das
sinnlose Morden mit Menschlichkeit, Demokratie, Offenheit - mit
Zivilität. Daran sollte sich Deutschland ein Beispiel nehmen - vor
allem die Medien und Politiker. Die Situation beider Länder ist zwar
nicht zu vergleichen, aber der Reflex in Deutschland auf die Tat
hätte unangemessener nicht sein können. Während Norwegen sich seiner
Werte besann und zuließ, dass es eine allumfassende Sicherheit nicht
geben kann, schrie Deutschland laut nach Repression. Das zum Teil
beschämende Verhalten im Umgang mit den Taten von Utöya und Oslo
begann damit, dass sich einige Medien bereits während der
Bombenexplosion mächtig vergaloppierten. Nur Minuten nach dem
Anschlag berichteten TV-Sender und Internetportale, dass es sich »mit
großer Wahrscheinlichkeit« um einen El-Kaida-Angriff handele. Der
internationale Terrorismus habe wieder zugeschlagen, das könnten »die
Experten« schon »mit großer Wahrscheinlichkeit« sagen, auch wenn man
vor »vorschnellen Urteilen warnen« müsse. So weit, so schlecht. Als
Quellen für die Schlussfolgerungen dienten »die Behörden«, »die
Experten« oder »die Sicherheitsfachleute«. Trotz aller Hektik, allen
Zeitdrucks, aller Konkurrenz: Guter Journalismus sieht anders aus. In
einer Zeit, die nach Aufklärung und Einordnung verlangt, neigen
Medien dazu, stets Antworten geben zu müssen, obwohl sie selbst noch
im Dunkeln tappen. Wie es anders geht, zeigt Ministerpräsident Jens
Stoltenberg. Als viele Journalisten bereits wild spekulierten, sagte
der Premier: »Wir wissen nicht, wer uns angegriffen hat. Wir wissen
es einfach noch nicht.« Während Norwegen sich noch im Schockzustand
befand, tobte in Deutschland bereits die Debatte. Von Fragen nach der
inneren Sicherheit, der Beobachtung von Extremisten bis zur stärkeren
Kontrolle des Internet reichten die zum Teil abstrusen Ideen und
Forderungen. Schärfere Waffengesetze, strengere Regeln bei
Computerspielen, Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung,
Kontrolle beim Düngemittelkauf, das Verbot der NPD - alles, was nur
ansatzweise mit den Taten von Oslo und Utöya in Zusammenhang gebracht
werden konnte, kam auf die Tagesordnung. Das liegt zum einen daran,
dass Journalisten - vom Ehrgeiz und einer falsch eingeschätzten
Erwartungshaltung getrieben - zu viele (falsche) Fragen stellen und
manchmal auch der Zeitpunkt dafür nicht richtig ist. Es hat aber auch
damit zu tun, dass einige Politiker falsche oder gar keine Antworten
geben oder sich nicht trauen, die Journalisten auf ihre
unangemessenen Fragen hinzuweisen. Und manch einer versucht sogar,
die Situation politisch zu nutzen. So ist SPD-Chef Sigmar Gabriel
kläglich damit gescheitert, seinen Feind Thilo Sarrazin in
Zusammenhang mit dem rechtsradikalen Weltbild des Mörders zu bringen.
Jens Stoltenberg hat eine Aufarbeitung aller Umstände angekündigt.
Diese muss auch erfolgen. Aber die Zeit ist dafür noch nicht
gekommen. Viel wichtiger ist es, die Angehörigen der Opfer zu trösten
und den Verletzten beizustehen. Bei der Trauerfeier nahm Stoltenberg
jeden der Angehörigen in den Arm, las die Namen der Toten persönlich
vor. Für ihn ist es selbstverständlich, dass die Regierung die
Begräbniskosten für alle Getöteten übernimmt. Jens Stoltenberg ist
kein Journalist, muss somit keine Fragen stellen. Er, der viele Opfer
persönlich kannte und als Jugendlicher an Ferienfreizeiten auf der
Insel teilnahm, ist zu einem festen Anker für Norwegen geworden.
Statt vorschnell Konsequenzen herbeizuführen, verhielt er sich
anders: Er antwortete auf die Taten mit Menschlichkeit. Jens
Stoltenberg ist ein Vorbild. Für Deutschland, für die Medien, für uns
alle.
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