(ots) - Mehr Chancen als Risiken
von Joerg Helge Wagner
Endlich mal wieder gute Nachrichten: Die Menschheit ist ihren
dienstältesten Diktator los, die Nato hat bei keinerlei eigenen
Verlusten in nur fünf Monaten die UN-mandatierte Mission "Unified
Protector" erfolgreich beendet. Die Teilung Libyens ist vermieden
worden und der Ölpreis sinkt auch noch! Zudem darf man hoffen, dass
die Vertreibung des libyschen Staatschefs durch das eigene Volk auch
dem Freiheitsstreben in Syrien, Jemen und womöglich Iran neuen
Schwung verleiht. Was will man mehr? Viel, nämlich eine klare
Perspektive für die sechs Millionen Libyer unter einer ebenso
verlässlichen wie demokratisch legitimierten neue Regierung. Nur
damit ließe sich der massive Militäreinsatz der Nato rechtfertigen,
der mit tausenden Lufteinsätzen Milliarden Euro gekostet hat und der
das Bündnis auf eine gefährliche Zerreißprobe stellte. Die westlichen
Staaten müssen jetzt alles dafür tun, dass der revolutionäre Elan
freiheitlich-demokratisch kanalisiert wird. Dem militärischen
Engagement muss massive politische, humanitäre und wirtschaftliche
Unterstützung folgen. Damit, dass die Ölquellen wieder sprudeln, darf
sich eine Wertebündnis wie die Nato nicht zufrieden geben. Die
Ausgangslage erscheint viel besser als in Afghanistan. Das Land ist
durch den halbjährigen Krieg nicht völlig verwüstet, die
Spitzenvertreter der Aufständischen mahnen besonnen zum Verzicht auf
Rache. Zudem gibt es keine materiellen Probleme: Zusätzlich zum
Ölreichtum kann die Übergangsregierung mit dem eingefrorenen Vermögen
des Gaddafi-Regimes rechnen; allein in Deutschland schlummern davon
gut sieben Milliarden Euro. Folglich muss die Bundesregierung nicht
einmal viel Geld in die Hand nehmen, um ihrer militärischen
Verweigerung nun ziviles Handeln folgen zu lassen. Anders als in
Afghanistan geht es nicht darum, hunderte Schulen und Krankenhäuser
zu bauen - aber genau wie in Afghanistan ist ein demokratisches
Justiz- und Polizeiwesen aufzubauen. Jetzt können die Deutschen
zeigen, was sie aus den Fehlern am Hindukusch gelernt haben, und sich
wirklich als Lead Nation profilieren. Darüber also sollte man sich in
Berlin den Kopf zerbrechen und nicht über einen vielleicht doch noch
möglichen Bundeswehreinsatz in dem Wüstenstaat. Erstens hat dort
bislang niemand nach der Bundeswehr gerufen und zweitens wäre diese
auch gar nicht in der Lage, einen nennenswerten Beitrag zu leisten,
ohne ihre Kräfte in Afghanistan vollends zu überfordern. Drittens
würde das notwendige Bundestagsmandat kaum überzeugend ausfallen -
weder für die deutschen Soldaten noch für die Verbündeten. Richtig
heikel - und zwar für alle Beteiligten - wird der Umgang mit Gaddafi,
wenn man ihn denn lebend fassen sollte. Es gibt zwar internationalen
Haftbefehle wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, doch
ein Prozess in Den Haag würde unangenehme Wahrheiten zutage fördern.
Immerhin stünde ein Mann vor Gericht, der einst vor dem Elysée-Palast
sein Zelt aufschlagen durfte und der vom ganzen Westen als
geläuterter Terror-Pate rehabilitiert worden war. Und im libyschen
"Ãœbergangsrat" sitzen offenbar auch Leute, die diesem Paten allzu
lange ergeben gedient haben. Am einfachsten wäre es, wenn sich der
bizarre Egomane selbst richten würde - aber darauf zu spekulieren
verbietet sich. joerg-helge.wagner(at)weser-kurier.de
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