(ots) - Partnerschaft reicht nicht mehr
von Joerg Helge Wagner
Wie schön könnten die deutsch-türkischen Beziehungen sein, wenn
sie ausschließlich von Abdullah Gül und Christian Wulff gestaltet
würden: Es wäre fast wie Deutschland-Frankreich unter dem Duo
François Mitterrand/Helmut Kohl. Vielleicht sogar noch besser, denn
Gül und Wulff mögen sich nicht bloß, sie können sogar unverkrampft
Klartext miteinander reden. Das hat Wulff vor elf Monaten bewiesen,
als er im türkischen Parlament Gleichberechtigung für die Christen in
Anatolien anmahnte - und mehr Integrationsbemühungen der bei uns
lebenden Türken forderte. Niemand in Ankara war beleidigt, denn das
deutsche Staatsoberhaupt genießt dort hohe Glaubwürdigkeit: Seine
Bremer Rede ist ebenso präsent wie die Tatsache, dass Wulff als
Regierungschef in Niedersachsen die erste türkisch-stämmige
Ministerin ernannt hatte. So kann er seinem Amtskollegen Gül auch
freundlich-bestimmt sagen, dass der Deutschtest für nachziehende
Ehepartner nicht verhandelbar sei, man aber über erleichterte
Visa-Regeln sprechen könne. Nun hat Wulff nicht die Machtfülle
anderer Präsidenten - die hat Angela Merkel. Auf türkischer Seite ist
Gül zwar immerhin formal Oberbefehlshaber der Streitkräfte in
Friedenszeiten, die politische Macht liegt jedoch auch hier bei
Premier Recep Tayyip Erdogan - und der ist aus ähnlich hartem Holz
wie Merkel. Die eine unterstützte noch 2004 als CDU-Chefin aktiv eine
Unterschriftenkampagne der CSU gegen einen EU-Beitritt der Türkei.
Der andere diffamierte 2008 in seiner Kölner Rede Forderungen nach
Integration als "Assimilation", die "ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit" sei. Die eine will angeblich "ergebnisoffen"
verhandeln, in Wahrheit aber maximal eine "privilegierte
Partnerschaft" der Türkei mit der EU zulassen. Der andere wuchert
derweil mit den Pfunden, die die Türkei international zugelegt hat.
Als Erdogans religiös orientierte Partei AKP 2002 an die Macht kam,
stimmte noch das Klischee vom "kranken Mann am Bosporus". Die
laizistischen Kemalisten wurden ja gerade deswegen abgewählt. Heute
kann die Türkei vor Kraft kaum laufen; Erdogan hat höchst erfolgreich
moderaten Islam und Modernisierung versöhnt. So erfolgreich, dass er
seine Türkei als Modell für Tunesien, Libyen, Ägypten anpreisen kann.
Woraufhin ihn prompt konservative Deutsche des "Neo-Osmanismus"
verdächtigen. Doch zum Glück gibt es in der Union ja immer noch
nüchterne Geister, die strategisch weit nach vorne denken können,
statt bloß schiefe historische Vergleiche zur Abwehr aktueller
Herausforderungen zu missbrauchen. Der Außenpolitiker Ruprecht Polenz
etwa hat erkannt, dass eine echte (!) Beitrittsperspektive der Türkei
zur EU durchaus im deutschen Interesse ist. Natürlich! Wir sind
wichtigster Handelspartner der Türkei, drei Millionen Menschen
türkischer Herkunft leben bei uns, 700
einen deutschen Pass. Und wenn der türkische Sender TRT el-Türkiye
bereits heute 350 Millionen Menschen auf Arabisch errereicht, sollte
man das nicht als "neo-osmanische" Bedrohung begreifen, sondern
intelligent nutzen, etwa durch Kooperation. Das könnte dann wirklich
mal ein wirksames Mittel gegen islamistische Propaganda sein.
"Außenpolitisch handlungsfähig und innenpolitisch stabil" hat sich
der CDU-Abgeordnete Thomas Kossendey die Türkei vor zehn Jahren
gewünscht. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen - nun muss man
auch etwas daraus machen. joerg-helge.wagner(at)weser-kurier.de
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