(ots) - Bundesregierung wusste davon seit 2009 / Neue
Erkenntnisse über mutmaßlichen syrischen Spion
Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" haben ergeben,
dass der Bundesregierung und allen maßgeblichen deutschen Behörden
seit spätestens 2009 bekannt war, dass abgeschobene Syrer willkürlich
verhaftet, gefoltert und verurteilt wurden, beispielsweise wegen der
Teilnahme an einer Assad-kritischen Demonstration hier in
Deutschland. Trotzdem wurden Abschiebungen weiter vorgenommen - bis
mindestens März 2011. In der Zeit von Januar 2009 bis Juni 2010 sind
rund 73 Syrer außer Landes gebracht worden, mindestens 14 von ihnen
landeten in syrischen Gefängnissen. Von fünf Abgeschobenen ist
bekannt, dass sie schwersten Folterungen ausgesetzt waren. Das geht
aus zum Teil vertraulichen Unterlagen des Auswärtigen Amtes und des
Bundesinnenministeriums hervor. Ferner bestätigt ein aktueller,
interner Vermerk des Berliner Verfassungsschutzes, dass ein
"Agentennetz in Deutschland ... zur Einschüchterung von
Regimegegnern" existiert. In Syrien drohen ihnen und ihren Familien
"Festnahmen, Verhöre und Misshandlungen".
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Jens Teschke, verweist
in einer Stellungnahme darauf, dass Abschiebungen nach Syrien vor
April 2011 nur dann erfolgen durften, "wenn die entsprechende Prüfung
keinen Schutzbedarf ergeben hat". Seit dem Juli 2011 würden wieder
positive Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsbürger
getroffen.
Der Hannoveraner Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vertritt Opfer
dieser Folter. 2009 war eine fünfköpfige Familie nach ihrer
Abschiebung sofort verhaftet und gefoltert worden: "Die Befragungen
waren einfach nicht nur die Befragungen, wie wir das in einem
Rechtsstaat kennen, sondern mit Misshandlungen, Bedrohungen,
Ãœbergriffen, Androhungen von Vergewaltigungen und Scheinhinrichtungen
verknüpft", sagte er im Interview mit "Report Mainz".
Auch Bernd Mesovic, rechtspolitischer Sprecher von Pro Asyl,
kritisiert die Bundesregierung scharf: "Die Abschiebungspraxis aus
Deutschland halte ich für eine direkte Kollaboration mit einem
notorischen Folterregime. Wir haben das seit Jahren kritisiert, aber
es ging immer weiter, obwohl immer mehr Fälle der Bundesregierung
bekannt wurden, in denen es klar war, dass die Betroffenen, die
Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr sofort inhaftiert, verhört,
misshandelt und gefoltert wurden."
Recherchen von "Report Mainz" haben außerdem ergeben, dass
syrische Oppositionelle in Deutschland aktuell flächendeckend und
systematisch bedroht und drangsaliert werden. Die in Berlin lebende
Sondos Sulaiman, seit mehr als zehn Jahren oppositionell engagiert
und Mitglied im Syrischen Nationalrat, erhält seit Monaten Drohungen
per Mail und am Telefon, sogar nachts: "Sie sagen mir, dass ich meine
Aktivitäten stoppen muss. Sie bedrohen mich. Sie wollten mich immer
daran erinnern, dass meine Familie in Syrien ist und dass meine
Aktivitäten gefährlich für meine Familie sein können." Ein Arzt,
aktiv im Rhein-Main-Gebiet, schildert im Interview mit "Report
Mainz", dass sein in Syrien lebender Bruder vom dortigen Geheimdienst
einbestellt und zu ihm befragt worden sei: "Ein klares Zeichen für
mich: Ich solle meinen Mund halten, sonst gibt es Ärger." Ähnliche
Erfahrungen schildert auch der Ãœbersetzer Khaled Alzayed, der die
Schaltstelle der syrischen Opposition in Niedersachsen ist: "Ein
Neffe von mir wurde vor einigen Wochen entführt und in die Wüste zu
einem Versteck gebracht. Er musste sich ausziehen bis auf die
Unterhose. Und nach einigen Stunden in der Kälte wurde er in der
Wüste abgesetzt. Als die Geheimdienstler ihn entließen, sagten sie
ihm: 'Das ist ein Gruß an Deinen Onkel'."
Vor einigen Tagen hat der Generalbundesanwalt (GBA) den Syrer
Akram O. verhaftet. Er soll laut GBA planmäßig syrische
Oppositionelle hierzulande bespitzelt haben. Nach Recherchen von
"Report Mainz" war Akram O. seit mehreren Jahren als Rechtskonsultant
des syrischen Botschafters tätig und hat 2011 an der Universität
Hannover seine Promotion zum Dr. jur. bestanden. "Report Mainz" hat
seine Facebook-Seite entdeckt. Diese weist ihn als treuen Anhänger
des syrischen Diktators Assad aus. Sein Doktorvater, der Hannoveraner
Strafrechtler Prof. Henning Radtke, nennt vor diesem Hintergrund
Akram O. "einen großen Schauspieler". Ihm gegenüber habe er den
Eindruck erweckt, dass er sich vom Assad-Regime angesichts der
Massaker habe distanzieren wollen. Ein syrischer Oppositioneller
beschreibt im Interview mit "Report Mainz", dass der Verhaftete Akram
O. sein Büro gleich neben dem des Botschafters gehabt habe: "Er war
der gefährlichste Mann in der Botschaft. Sogar der Botschafter hatte
Angst vor ihm, weil er über direkte Kontakte in höchste
Geheimdienstkreise des Assad-Clan verfügt." Über seinen Anwalt
bestreitet Akram O. die gegen ihn erhobenen Vorwürfe.
Weitere Informationen finden Sie auf www.reportmainz.de.
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