(ots) - Bundespräsident Joachim Gauck zeigt klare Kante.
Die Absage einer Reise in die Ukraine ist das bislang stärkste Signal
seiner Präsidentschaft. Er wendet sich gegen den Umgang der
ukrainischen Regierung mit der inhaftierten und erkrankten
Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Die Entscheidung wirft auch
ein Licht auf die mangelnde Rechtsstaatlichkeit der Ukraine, die sich
in Kürze im Licht eines gigantischen Sportereignisses sonnen möchte.
Gaucks Ruf zur Wachsamkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen und
Demokratieanfeindungen genügt, um Europas Politiker und Sportler
aufzurütteln. Ein Boykott der Fußballeuropameisterschaft hingegen,
die im Juni in der Ukraine und in Polen ausgetragen wird, muss nicht
sein. Die Empörung über wachsende politische Defizite in dem
Nachfolgestaat der Sowjetunion ist längst da. Eine Absage könnte in
Unverständnis bei Millionen Fans und einer Millionen machenden Werbe-
und Sportindustrie umschlagen. Immerhin war die Wahl der zwei
benachbarten Austragungsländer auch ein Stück politische Anerkennung
durch den Sport für die 2004 vom ukrainischen Volk errungenen
Orangenen Revolution. Nebenbei: Die Wut des Volkes wandte sich damals
gegen einen gewissen Viktor Janukowitsch, dessen schärfste Rivalin
Julia Timoschenko bis heute ist. Der aktuelle Protest gegen
politische Schikanierung, möglicherweise auch Folter Timoschenkos
sowie anderer Oppositioneller hat mit Gaucks Entscheidung seinen
bislang deutlichsten Ausdruck gefunden. Die Absage ist eine scharfe
Kritik der Bundesrepublik Deutschland, der sich Janukowitsch nicht
entziehen kann. Ihm droht bei den 16 Begegnungen in der Ukraine,
Endspiel eingeschlossen, die politische Isolation auf der
Ehrentribühne. Angela Merkel und die EU-Menschrechtskommissarin
Viviane Reding werden Janukowitsch auf jeden Fall meiden und damit
zum Paria stempeln. Polen hui, Ukraine pfui. Auch das spricht dafür,
die EM stattfinden zu lassen. Timoschenko ist in Kiew wahrlich nicht
das einzige Justizopfer. Anmesty dokumentiert in seinem Jahresbericht
viele Fälle von Polizeiprügel, verweigerter ärztlicher Hilfe,
eingeschüchterter Anwälte und mangelnder Rechtsstaatlichkeit vom
Justiz- bis zum Finanzsektor. Zum Thema gehört auch, dass es zu
Timoschenkos Karriere als »Gasprinzessin«, die sich bereichert haben
soll, kritische Nachfragen gibt. Manche halten den Aufstieg von einer
Videoverleiherin zur Multimillionärin für mafiaverdächtig. Wir
wissen es nicht, weil es kein rechtsstaatliches Verfahren gegen
Timoschenko gegeben hat. Auch Gauck weiß um solche Verdächtigungen.
Dass sich der neue Bundespräsident dennoch zu einer Ohrfeige für den
ukrainischen Antidemokraten Janukowitsch entschieden hat, zeugt von
bemerkenswert bedingungslosem Eintreten für freiheitliche Grundwerte.
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