(ots) - Sport und Schuld
von Joerg Helge Wagner
Wenn Politik auf Sport trifft, verliert letzterer seine Unschuld -
eine Binsenweisheit, wird mancher jetzt gähnen und auf einschlägige
Erfahrungen verweisen: die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, 1980 in
Moskau oder 2008 in Peking etwa, allesamt von waschechten Diktaturen
zur Selbstdarstellung missbraucht. Also könnte man sich wie unsere
Formel-1-Helden wegducken. Michael Schumacher und Sebastian Vettel
äußerten jüngst in Bahrain, dass sie dort bloß "ihren Sport
betreiben" wollten und dass sie deshalb keine Meinung zur zeitgleich
niedergeknüppelten Opposition abgeben könnten. Das ist kaltschnäuzig
oder naiv, denn natürlich wollte sich auch König Hamad ben Issa
al-Chalifa mit dem bei ihm gastierenden Grand-Prix-Zirkus schmücken.
Immerhin: Kein Medium ließ die Menschenrechtsverletzungen unerwähnt,
die Opposition bekam etwas mehr Aufmerksamkeit als sonst und nach
einem Wochenende war der vermeintliche Prestige-Gewinn des Potentaten
verpufft wie die Abgase der Boliden. Der Fall Ukraine wiegt weitaus
schwerer, denn sie wird ab dem 8. Juni drei Wochen lang im Fokus der
weltweiten Medien stehen. Das große, aber labile Land im Osten
Europas ist weder eine lupenreine Demokratie noch eine waschechte
Diktatur - Julia Timoschenko hin und die aus ihren Buden vertriebene
Studenten her. Wissenschaftler würden von einer
"Transfergesellschaft" sprechen. Das sind Staaten, die aus Kriegen
oder Diktaturen hervorgegangen sind und die sich auf eine Weggabelung
hinbewegen: Rückfall in ein autoritäres Regime oder allmähliche
Demokratisierung. Die Begleiterscheinungen sind immer gleich:
Korruption, Bereicherung/Verarmung, unsaubere Wahlen, Missachtung von
Menschenrechten. Umso wichtiger ist es, auf diese Missstände
hinzuweisen und ihr Ende zu fordern, erst Recht mitten in Europa.
Spitzensportler sollten sich nicht darauf zurückziehen, dass dies
ausschließlich der Job von Spitzenpolitikern sei. Es ist gut, dass
sich Uli Hoeneß anders verhält als Schumacher und Vettel. Sein Appell
an die Spieler, ihre Solidarität mit Regimekritikern zu äußern,
verdient Respekt. Er erinnert an jene sechs iranischen
Nationalspieler, die bei der WM-Qualifikation 2009 mit grünen
Armbändern aufliefen, um die Opposition in ihrer Heimat zu
unterstützen. Das hat das Regime zwar nicht gestürzt, aber es hat ihm
einen Propaganda-Erfolg verwehrt. Und es hat gezeigt, dass Sportlern
nicht alles jenseits von Zeiten und Punkten schrecklich egal ist.
Wenn Sport auf Politik trifft, muss er nicht immer seine Unschuld
verlieren. joerg-helge.wagner(at)weser-kurier.de
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