(ots) - Immer mehr Mieter können sich ihre Wohnungen nicht
mehr leisten, weil teure energetische Modernisierungen auf die Miete
umgelegt werden. Im vergangenen Jahr waren rund 100.000 Menschen
betroffen, die sich die Miete nach einer Modernisierung nicht mehr
leisten konnten. Dabei handelte es sich vor allem um Geringverdiener
und ältere Menschen mit geringer Rente. Das berichtet das
ARD-Politikmagazin "Report Mainz" in seiner Sendung heute Abend, 3.
Juli, um 21.45 Uhr im Ersten und beruft sich auf bisher
unveröffentlichte Berechnungen und Schätzungen des Deutschen
Mieterbunds (DMB). Der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbunds,
Lukas Siebenkotten, sagte im Interview mit "Report Mainz": "Wir haben
errechnet, dass 100.000 Mieterinnen und Mieter von den Härten der
Mieterhöhung aufgrund energetischer Gebäudesanierung betroffen sind
und im Ergebnis in den meisten Fällen ihre angestammten Wohnungen
verlassen müssen, weil sie es nicht mehr bezahlen können, also
vertrieben werden. Das bewerten wir als sozialen Sprengstoff erster
Güte."
Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) erklärte dazu auf Anfrage
von "Report Mainz", dass seinem Ministerium zu den sozialen Folgen
von energetischen Modernisierungen keine gesicherten Zahlen
vorliegen. Er beobachte die Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten
jedoch sehr genau, dazu gehörten auch die Auswirkungen von
energetischen Sanierungen auf die Mieten. Ramsauer räumte gegenüber
"Report Mainz" nun ein, dass es sicherlich "zu Umzügen von
einkommensschwachen Haushalten kommt, die ich auch sehr ernst nehme".
Er sehe deswegen aber keinen Handlungsbedarf. Das Mietrecht sei
"sozial ausgewogen".
Nach den Berechnungen und Schätzungen des Deutschen Mieterbunds
drohte 2011 auch vielen Hartz-IV-Empfängern ein Zwangsumzug wegen der
Umlage der Kosten von energetischen Modernisierungen auf die Mieter.
2011 waren danach schätzungsweise rund 40.000
Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften betroffen, bei denen die Miete nach
einer energetischen Sanierung über der Bedarfsobergrenze lag. Wegen
der gestiegenen Mieten reichte auch das Wohngeld 2011 bei rund
300.000 Haushalten, oft Rentner und Pensionäre, nicht mehr aus. Hier
lag die tatsächliche Miete über der beim Wohngeld berücksichtigten
Miete.
Der Präsident des Deutschen Städtetages und Münchner
Oberbürgermeister, Christian Ude (SPD), sagte im Interview mit
"Report Mainz": "Die Zahlen, die der Mieterbund hochgerechnet hat,
aber auf Grund einer gründlichen Datenbasis, sind erschreckend." Der
Städtetags-Präsident bestätigte, dass sich die Wohnungssituation in
immer mehr deutschen Städten zuspitze: "Die energetische Sanierung
führt wegen der Umlage der Kosten auf die Miete dazu, dass immer mehr
deutsche Städte, die bisher keine nennenswerten Probleme mit der
Miethöhe hatten, plötzlich auch dieses Thema am Hals haben, ja, dass
sie sogar erleben müssen, dass immer mehr wirtschaftlich schwache
Mietparteien nicht mehr mithalten können und aus ihrer angestammten
Umgebung vertrieben werden." Vor dem Hintergrund ohnehin steigender
Mieten führe die Umlage der Modernisierungskosten jetzt zu besonderen
Härten für sozial schwache Mieter. Ude sagte: "Die dramatischen
Mietsprünge heißen im Ergebnis: Das Haus ist jetzt wunderbar
ökologisch auf der Höhe der Zeit und energetisch saniert, nur der
Bewohner kann es sich nicht mehr leisten, dort zu wohnen. Dieses
Ergebnis darf aber nicht rauskommen."
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag,
Bärbel Höhn, forderte die Bundesregierung auf, die sozialen Härten
von energetischen Modernisierungen im Mietrecht künftig besser
abzufedern: "100.000 Menschen, die von einer energetischen Sanierung
überfordert sind, was die zukünftige Miete angeht, das ist eine sehr
relevante Zahl und die kann man nicht einfach links liegen lassen und
sagen, wir machen so weiter wie bisher." Höhn erklärte, die sozialen
Härten von Modernisierungen seien auch eine Gefahr für die Akzeptanz
der Energiewende: "Ich fordere die Bundesregierung auf, dass sie die
Lasten der energetischen Sanierung fairer verteilt, das muss fairer
zwischen Staat, Mietern und Vermietern aufgeteilt werden. Ich fordere
sie auf, dass sie sich bei geringen Einkommen Lösungen einfallen
lässt, dass die Menschen nicht aus ihren Wohnungen vertrieben werden.
Wenn wir das nicht machen, wird die Energiewende scheitern und damit
auch die notwendige energetische Sanierung."
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion,
Ulrich Kelber, sagte: "Heute müssen die Mieterinnen und Mieter die
Kosten für eine energetische Gebäudesanierung völlig allein tragen.
Das überfordert viele, und die Folge ist, dass sie die Wohnungen
nicht mehr bezahlen können, in denen sie vorher gelebt haben. Das ist
eine unvergleichbare soziale Härte, deswegen muss die Aufgabe sein zu
unterstützen, dass die Menschen in ihren Wohnungen verbleiben können,
indem die Kosten deutlich gesenkt werden." Dazu müsse die Regierung
die Zuschüsse für energetische Gebäudesanierung deutlich anheben.
"Das ist auch ein gutes Konjunkturprogramm, das wird viele
Arbeitsplätze geben. Durch die Steuereinnahmen wird ein großer Teil
des Programmes refinanziert werden. Und die Bundesregierung muss mit
den höheren Zuschüssen eine Verpflichtung für die Vermieterinnen und
Vermieter entlang geben, nämlich deutlich weniger auf die Mieterinnen
und Mieter umzulegen."
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Tel.: 06131/929-33351.