(ots) - Der Zeitpunkt ist alles andere als klug gewählt.
Schon eine Woche nach seiner Amtseinführung legt sich der neue
ägyptische Präsident sowohl mit dem Verfassungsgericht als auch mit
dem Militärrat an. Gerade eben hat Mohamed Mursi seinen Amtseid in
dem Haus gesprochen, das er jetzt mit seinem Dekret herausfordert.
Dabei kann er doch nicht im Ernst geglaubt haben, dass die Richter
ihr Urteil, das kurz vor seiner Wahl zum Nachfolger Mubaraks gefällt
wurde, postum zurücknehmen? Niemand stünde über dem Gesetz, gab der
Oberste Verfassungsrichter Sultan dem frisch gebackenen Präsidenten
mit auf den Weg. Der aber scheint dies nicht begriffen zu haben. Dass
die Zusammensetzung des Parlaments nicht rechtens ist, bestreiten
selbst Mursis Muslimbrüder nicht. Denn gerade sie haben in der
Vergangenheit von der Klausel profitiert, dass ein Drittel der
Abgeordneten unabhängige Kandidaten sein müssen. Ansonsten wäre
keiner von ihnen jemals in die Volksvertretung gewählt worden. Selbst
Mursi trat im Jahre 2000 als Unabhängiger an und gewann einen Sitz.
Die Muslimbrüder als Partei waren während der gesamten Regentschaft
Mubaraks streng verboten. So ist also der Versuch, das Urteil zu
revidieren, ein überflüssiger Kraftakt, der das ohnehin instabile
Land noch mehr verunsichert. Sollte also die eigentliche Machtprobe
dem Militärrat gegolten haben, der das Urteil des Gerichts radikal
umgesetzt und den Parlamentariern den Zugang zur Volksvertretung
bisher verboten hat? Dann war die Aktion wenig durchdacht, und der
Präsident sollte sich andere Berater zulegen. Denn die Generäle
können sich jederzeit hinter der Justiz verstecken und mit dem Urteil
Politik machen. Beim Schachspielen sollte man auch immer den Zug des
Gegners im Blick haben. Wenn Parlamentspräsident Katatni sich vor
unvollständiger Mannschaft hinstellt und nochmals das Gericht anruft,
um die Kompetenz des Parlaments feststellen zu lassen, dann kommt das
einem Schachmatt gleich.
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