(ots) - Tausende von Ägyptern - in der Hand den Wahlzettel,
die Füße auf dem Demonstrationsplatz - streiten erbittert über die
künftige Verfasstheit ihres Landes. Nach Jahrzehnten der erzwungenen
Passivität hat ein 85-Millionen-Volk die Mubarakschen Denkfesseln
abgestreift. Wer füllt jetzt das Vakuum?
Zwei Leitbilder konkurrieren, beide kommen aus der Verbotszone des
alten Regimes und beziehen daraus moralische Legitimität. Die streng
religiösen Muslimbrüder wurden ein halbes Jahrhundert lang gnadenlos
verfolgt, ebenso wie die regimekritische Jugend und Intelligenz der
Großstadt. Ob und wie Kompromiss und somit Koexistenz zwischen ihnen
praktisch möglich sind, ist fraglich. Sie selbst müssen es
herausfinden.
Ausländischen Beobachtern kann man sorgenvolle Blicke nach Kairo
deshalb nicht verdenken. Auch Ratschläge nicht. Was die Ägypter gar
nicht benötigen, sind Drohungen, wie sie gestern aus dem Hause des
deutschen Entwicklungsministers Niebel zu hören waren. Einmal
abgesehen davon dass die Toleranzbereitschaft der Muslimbrüder
gegenüber westeuropäischen Demokratievorstellungen damit nicht
gesteigert wird - es ist verlogen, wenn Niebel beklagt, dass »das
autoritäre System Mubaraks wieder auflebt«. Es war nicht zuletzt
Niebels Regierung, die dieses System bis zuletzt stützte; es war ein
Außenminister seiner Partei, der noch Mitte 2010 Mubarak als »Mann
mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick«
pries. Hätte Niebel doch wenigstens geschwiegen.
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