(ots) - Hajo Schumacher
Wenn das Jahr 2012 eine hilfreiche Erkenntnis bereithielt, zuletzt
am 21. Dezember, dann die Einsicht, dass die Welt so schnell nicht
untergeht. Der ebenso oft verwendete wie tumbe Satz, alles gehe den
Bach runter, hat mehr mit bräsiger Bequemlichkeit zu tun als mit
einer Analyse dessen, was ist. Natürlich: Von Bildung bis BER, von
Schuldenpolitik bis Griechenland, von Verfassungsschutz bis Gaza -
überall im Land lauern vielschichtige Probleme. Einfache Lösungen
klingen attraktiv, funktionieren aber meistens nicht.
Wäre etwa ein Rauswurf Griechenlands aus dem Euro, vor Jahresfrist
vielfach gefordert, tatsächlich der richtige Schritt gewesen? Oder
hat das zugegebenermaßen nervenzehrende und nicht immer ganz ehrliche
Hin und Her womöglich Schlimmeres verhindert, vor allem eine
emotionale Eskalation mit unabsehbaren Folgen? Zu den ewigen
Wahrheiten der Demokratie gehört, dass es keine Patentrezepte gibt,
sondern mehr oder weniger gelungene Kompromisse. Regieren, zumal in
hektisch-hysterischen Zeiten, bedeutet zunächst Abwarten,
Analysieren, Tempo drosseln, statt dem ersten naheliegenden, medial
aufgeblasenen Vorschlag hinterherzuhecheln.
Wie langwierig die Folgen ruckartiger politischer Entscheidungen
verlaufen, zeigt die Energiewende. Von der romantischen Idee einer
windradbasierten Industriegesellschaft bis hin zum Funktionieren des
regenerativ getriebenen Wohlstands ist es ein langer, steiniger Weg,
für den es keinen zuverlässigen Plan gibt, sondern nur mühsames und
teures Stolpern durch Versuch und Irrtum. Bei allen Schwächen, die
die Binnensicht entlarvt, funktioniert das deutsche
Entscheidungssystem von außen betrachtet doch leidlich. Vom
philosophischen Ideal des perfekten Gemeinwesens ist Deutschland weit
entfernt, im internationalen Vergleich jedoch schneiden wir relativ
ordentlich ab. Warum? Weil Institutionen, Sozialpartner und auch die
Politik einen verhältnismäßig ordentlichen Job machen. Zu welchem
Preis wird in China das Wachstum erkauft? Welches Gift schwappt durch
die US-Politik? Was lernen wir aus den gut gemeinten
Mitbestimmungsexperimenten der Piraten? Das Paradies ist eine
Fiktion.
Wenn es eine Aufgabe für das neue Jahr gibt, die über den
erwartbaren Wahlkampfunsinn hinausreicht, dann ist es das Stärken
jener Kräfte, die dieses Land zusammenhalten. Dazu gehört der Respekt
für Lehrer, das Anerkennen jener Millionen Dienstleister, die für
magere Löhne ein anständiges Leben führen, und die Einsicht, dass
Steuerzahlen keine milde Tat ist, sondern Bürgerpflicht. Das Land
brauche keinen Propheten, der vom Berg herabsteige, sagt der Münchner
Philosophie-Professor Henning Ottmann, sondern zunächst nicht mehr
als gemeinsame Ãœberzeugungen vom guten Leben. Was verstehen wir unter
Gerechtigkeit, wie definieren wir Leistung, wie viel Respekt bringen
wir den demokratischen Instrumenten und Repräsentanten entgegen, wo
endet konstruktive Kritik, wann beginnt die Hetze? Vielleicht ein
guter Vorsatz für 2013: Rücksicht, Verständnis, Geduld und ein wenig
Anstand einfach mal vorleben - und dann erst einfordern.
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