(ots) - Den Militärputsch nicht hinnehmen! Ägyptens
Muslimbrüder trugen ihre Wut gestern auf die Straße. Sie treibt der
Zorn der Gerechten, denn Mohammed Mursi war nicht nur ihr politischer
Exponent, sondern sogar zuerst der vom Volke mit zweifelsfreier
Mehrheit gewählte Präsiden; der oberste Militär dagegen ist ein
Putschist. Doch warum sind dann die, die seit Tagen Mursis Absetzung
feiern, offensichtlich viel zahlreicher auf der Straße als Mursis
Anhänger? Die Muslimbrüder beklagen den Bruch der Verfassung - aber
wie schwer wiegt dieser Vorwurf, wenn doch der oberste
Verfassungshüter die Notwendigkeit dieses Bruches positiv akzeptiert,
indem er sich von den »Putschisten« Genannten als Interimspräsident
einsetzen lässt? Eine Vermutung lautet: Die Mehrheiten von 2013
müssen nicht die des Wahljahres 2012 sein. Eine andere: Die
Freudentänzer von Kairo - zu einem guten Teil Ägyptens Generation
Smartphone, sind nicht die Ärmsten und allenfalls eine optische
Mehrheit, während die tatsächliche einmal mehr eine schweigende ist.
Darf moralischer Rigorismus in Frage gestellt werden? Ist ein
militärischer Staatsstreich immer und in jedem Falle als
antidemokratisch abzulehnen? Was, wenn er bessere Bedingungen schafft
für das Ringen um Volksherrschaft? Vermeintlich ewige Gewissheiten
verlieren doch häufig gerade dann ihr Unfehlbarkeitsmantra, wenn sie
den Prüfstand der Tagestauglichkeit zu passieren haben. Die
Geschichte bietet Beispiele zuhauf, nur eines davon aus dem nahen
Afrika: Zweimal putschte der Offizier Jerry Rawlings in Ghana
korrupte Regierungen aus dem Amt - um später die Macht freiwillig in
zivile Hände abzugeben. Kann es nicht in Ägypten auch so sein? Ja,
das kann es. Doch nicht ohne Aber, denn es unterstellte ansonsten das
generelle Vorhandensein von Gutmenschentum in der Realpolitik - ein
Phänomen, das sich desto stärker in Wohlgefallen auflöst, je genauer
man hinsieht. Und so können auch Ägyptens Generale keineswegs als die
letzten Bannerträger des Altruismus gelten, mag sie die Straße jetzt
auch auf Händen tragen. Niemand kann übersehen, dass gerade Kairos
Militärkaste wie keine andere auf dem Kontinent die Wirtschaft des
Landes im Griff hat, kräftig an ihr verdient und folglich mit großem
Argwohn alle politischen Veränderungen verfolgt, die dies gefährden
könnten. Ob ein Umsturz in Erzählungen für die Nachwelt als Putsch
gebrandmarkt oder als Revolution veredelt wird, entzieht sich
objektiven Kriterien und hat maßgeblich mit dem Standpunkt des
Betrachters zu tun. Die Ägypter wollen vor allem, dass sich ihre
Lebenslage verbessert, egal wen sie gewählt haben. Ihr Urteil über
den Militärcoup wird deshalb heute kaum ein endgültiges sein. So wie
gestern Mursi wird sich auch General Sisi nun, da er sich mit seinen
Panzern aus der sicheren Deckung der Kasernen aufs glatte politische
Parkett gewagt hat, dessen Gesetzen stellen müssen. Sicher ist: Die
Ägypter werden ihre Meinung zu dem, was ihre Generäle ihnen da
verordnet haben, nicht nach staatsrechtlichen Lehrbüchern richten;
nicht nach den eigenen, schon gar nicht abendländischen
Vorstellungen. Das ist ihr gutes Recht.
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