(ots) - Die Bundeswehr hatte bereits 2011 einen "erheblichen
Mangel" am Sturmgewehr G36 festgestellt. Das geht aus einem, als
Verschlusssache eingestuften Schreiben hervor, das dem
ARD-Politikmagazin "Report Mainz" des Südwestrundfunks exklusiv
vorliegt.
Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung meldete als Ergebnis
von "Untersuchungen beanstandeter Infanteriewaffen", das G36 zeige
"nach einer Belastung von 90 Schuss in kurzer Zeit
(Dauerfeuer/schnelles Einzelfeuer) eine stark nachlassende
Präzision." Die für die Erprobung und den Kauf verantwortlichen
Beamten warnten am 2. Dezember 2011: Die Ergebnisse "erscheinen aus
hiesiger Sicht einen erheblichen Mangel anzuzeigen. Demnach weist das
G36 nach der oben genannten Belastung von 90 Schuss einen Streukreis
von 50 bis 60 cm auf eine Zielentfernung von 100 m auf. Hier ist die
Frage zu stellen, inwieweit ein Soldat in einem Feuergefecht mit
heißgeschossener Waffe überhaupt noch treffen kann." Das Bundesamt
ordnete dem Schreiben zufolge "mit höchster Priorität" weitere
Untersuchungen am G36 an. Auch die bislang unveröffentlichten
Ergebnisse dieser Untersuchung vom 6. Dezember 2011 liegen "Report
Mainz" exklusiv vor. Darin heißt es: "Nach einer relativ geringen
Schusszahl erhöht sich die Streuung erheblich."
Das Bundesverteidigungsministerium hatte dagegen am 12. Dezember
2012 dem Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (B'90 / Die
Grünen) auf Anfrage mitgeteilt: "Es wurde kein Mangel am Gewehr G36
festgestellt. (...) Das Sturmgewehr G36 ist zuverlässig und auch
weiterhin tauglich für die Erfordernisse der Bundeswehr im
Ausbildungsbetrieb und in den laufenden Einsätzen." Hans-Christian
Ströbele erklärte dazu in "Report Mainz": "Jetzt sehe ich: Ich bin
reingelegt worden und ich fühle mich auch belogen. Wozu stelle ich an
die Bundesregierung eine Anfrage, wenn mir nachher was Falsches
gesagt wird? Das ist ganz eindeutig die Unwahrheit und man muss ja
davon ausgehen, dass es auch bewusst die Unwahrheit ist."
Das Bundesverteidigungsministerium schrieb "Report Mainz" auf
Anfrage zum G36: "Es ist bei bestimmungsgemäßem Gebrauch
handhabungs-, funktions-, betriebs- und treffsicher." Der Soldat
solle dauerhaftes Schnellfeuer vermeiden, damit das G36 nicht zu heiß
und damit ungenau werde, erklärte ein Ministeriumssprecher. Diese
Argumentation kritisiert Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestags. Im Interview sagte er auf die Frage: Kann der
Soldat denn darauf verzichten, schnell viel zu schießen? "Das kann er
natürlich im konkreten Einsatz vorher nicht wissen. Und wenn gesagt
wird, das ist ein Gewehr, mit dem kein Schnellfeuer gegeben werden
soll, dann muss ich Ihnen aber sagen: Da gibt es aber den Hebel und
im konkreten Einsatz kann es eben sein, dass er das tun muss."
Das G36 kann mit einem Hebel von Einzelfeuer auf Schnellfeuer
umgestellt werden. Das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch hatte die
Bundeswehr bis April 2012 mit insgesamt 180.000 G36 Gewehren
beliefert. Erst vor kurzem beauftragte das Verteidigungsministerium
Heckler & Koch mit einer weiteren G36 Lieferung. Die
Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt in diesem Zusammenhang wegen
Untreue gegen einen Mitarbeiter der Bundeswehr. Heckler & Koch
schreibt auf der Firmenhomepage: "In über 10 Jahren Kampfeinsatz der
Bundeswehr in Afghanistan ist Heckler & Koch keine einzige Beschwerde
der kämpfenden Truppe im Bezug auf die Treffleistung des Gewehrs G36
im heißgeschossenen Zustand bekannt geworden. Nach Kenntnis von
Heckler & Koch sind auch innerhalb der Bundeswehr diesbezüglich keine
Beschwerden der kämpfenden Truppe bekannt geworden." Rechtsanwälte
der Firma Heckler & Koch erklärten auf Anfrage von "Report Mainz":
"Bei einem Dauerfeuer mit mehreren 100 Schuss innerhalb weniger
Minuten wird im wahrsten Sinn des Wortes jedes Sturmgewehr
'zerschossen' mit der Folge der von Ihnen angesprochenen zunehmenden
Streuung."
Der unabhängige Waffensachverständige Dieter Plößl entgegnet
darauf in "Report Mainz", ein heißgeschossenes G36 streue sogar noch
stärker als die alten Kalaschnikov-Gewehre der Taliban. Selbst wenn
das G36 wieder kalt ist, schieße es weit neben das Ziel und müsse
wieder neu justiert werden. Wörtlich sagte Plößl: "Eine Verlagerung
in dieser Größenordnung würde bei einer zivilen Waffe auf keinen Fall
akzeptiert werden. Ich würde diese Waffe als bedingt einsatzfähig
betrachten. Wenn ich Verteidigungsminister wäre, hätte ich Angst,
Soldaten in einen so unkontrollierbaren Einsatz mit dieser Waffe zu
schicken."
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