(ots) - Wenn er wissen wolle, was Angela Merkel denke, hat
Barack Obama neulich gesagt, greife er zum Telefonhörer und rufe sie
an. Das war im Sommer, als Edward Snowden die Sammelwut der NSA
bereits hinreichend belegt hatte und Mister President, ganz im
Einklang mit der Kanzlerin, die Wogen der Empörung zu glätten
versuchte. Es klang logisch. Wozu der ganze Geheimdienstwust, wenn es
doch so viel einfacher gehe, wollte der Amerikaner signalisieren.
Aber nun drängt sich Eindruck auf, als hätte der Mann nur geflunkert.
Noch ist nicht einmal ansatzweise geklärt, welche Rolle Obama bei der
Sache mit Merkels Handy spielte. War er selber im Bilde? Hat das
Weiße Haus der NSA die Mobilnummer der Deutschen gegeben, verbunden
mit dem Auftrag, sie zu belauschen? Oder handelte Keith Alexander,
Big Brother an der Spitze der Riesenbehörde, auf eigene Faust? Es ist
ein bisschen zu früh, schon jetzt an Obama-Porträts zu feilen, die
den Protagonisten als eiskalten Schurken skizzieren, der einer Angela
Merkel im Rosengarten die Freiheitsmedaille verleiht und großes
Freundschaftstheater spielt, nur um sie parallel dazu auszuhorchen.
Genauso verwegen wäre es, Obama als Opfer seiner Schlapphüte
hinzustellen, als einen Düpierten, der auslöffeln muss, was ihm die
Abhörfanatiker eingebrockt haben. Die Rolle des Präsidenten in der
Affäre? Im Moment kann man nur sagen: Genaues wissen wir nicht. Was
die Causa Merkel allerdings ohne Zweifel bedeutet, ist ein Ende
amerikanischer Scheinheiligkeit. Es klingt nur noch hohl, das Mantra
von den Anschlägen, die es mit Hilfe der Datenfischerei zu verhindern
gilt, weshalb es keine Alternative gebe zu weltweiter Ãœberwachung.
Ja, offenbar sind Attentate vereitelt worden, auch wenn es sich
konkret nur schwer überprüfen lässt - ist ja schließlich geheim. Aber
was die NSA sonst noch so treibt, von schnöder Industriespionage bis
zum Ausschnüffeln europäischer Verhandlungspositionen vor
Freihandelsgesprächen, lässt sich beim besten Willen nicht unter der
Rubrik Terrorbekämpfung abbuchen. Der Kaiser hat keine Kleider mehr,
das zumindest steht einstweilen fest.
Pressekontakt:
Weser-Kurier
Produzierender Chefredakteur
Telefon: +49(0)421 3671 3200
chefredaktion(at)Weser-Kurier.de