(ots) - »Wenn die Sozialdemokratie nach einem utopischen
Überschuss sucht, dann findet sie ihn in dem großen Ziel, den
Kapitalismus zu zivilisieren«, so hat es der Historiker Jürgen Kocka
einmal formuliert - und das war kein Kommentar über vergangene
Zeiten, sondern ganz aktueller Ratschlag. Die SPD neigt derzeit nicht
dazu, ihn zu befolgen. Ob das eine Frage des Unvermögens oder des
Unwillens ist, bildet ein Jahr nach der Bundestagswahl des Pudels
Kern: Als was will sich eine Partei verstehen, die zu lange zu wenig
utopischen Überschuss erkennen ließ dafür aber umso mehr
Bereitschaft, sich unter das Joch angeblicher Sachzwänge zu begeben?
Der Hinweis auf den 25-Prozent-Turm, in dem die SPD ja nicht von
irgendwem eingesperrt ist, sondern sich selbst in Gefangenschaft
hält, ist dabei nur die eine Seite. Natürlich, wer auf dem
parteipolitischen Parkett spielt, will in Wählerstimmen ausgezahlt
werden. Die Frage nach dem künftigen Kurs der Sozialdemokraten ist
aber auch eine nach der Zukunft der Idee, für die sie einst stand:
als jener Teil der gesellschaftlichen Linken, die trotz Bemühungen
zur Zivilisierung des Kapitalismus durch Reformen nicht den Anspruch
hat fallen gelassen, über ihn hinauszugehen. Schafft die SPD eine
Rückbesinnung? Skepsis fällt hier leicht. Häme sollte man sich aber
sparen - nicht nur, weil andere linke Parteien vom Stillstand der
Sozialdemokraten kaum profitieren. Es ist eine Frage praktizierbarer
Alternativen überhaupt. Ohne die SPD wird es auf absehbare Zeit keine
Antworten geben. Mit dieser aber auch nicht.
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