PresseKat - Nach dem Fall Tugce: Experten fordern schnelle Verabschiedung eines neuen Opferentschädigungsrechts

Nach dem Fall Tugce: Experten fordern schnelle Verabschiedung eines neuen Opferentschädigungsrechts / "Report Mainz", heute, 16. Dezember 2014, um 21.45 Uhr im Ersten

ID: 1150647

(ots) - Vor dem Hintergrund des Falls Tugce fordern Experten
eine zügige Novellierung des Opferentschädigungsgesetzes. Im
Interview mit "Report Mainz" sagte der Leiter des Kriminologischen
Forschungsinstituts Niedersachsen, Prof. Christian Pfeiffer: "Es ist
ein völlig veraltetes Gesetz, was nicht angepasst ist an die
Bedürfnisse der heutigen Gewaltopfer und weiteren Kriminalitätsopfer,
was viel zu bürokratisch und langsam ist und nicht annähernd den
Ansprüchen genügt, die die Opfer zu Recht an die Gesellschaft
stellen." Die Bundesvorsitzende des "Weißen Rings" Roswitha
Müller-Piepenkötter sagte angesichts der oft mangelnden Umsetzung des
Gesetzes: "Es kommt immer wieder vor, dass gerade die Menschen, die
Zivilcourage geleistet haben, hinterher noch alleine gelassen
werden."

"Report Mainz" berichtet unter anderem über den Anwalt Dr. Gerhard
Schwarzer. Er rettete 2009 bei einer Schießerei im Landgericht
Landshut mehreren Menschen das Leben, weil es ihm gelang, den Täter
kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Der Anwalt wurde dabei selbst
schwer verletzt und leidet bis heute an den psychischen Folgen. Mit
der für die Opferentschädigung zuständigen Behörde streitet er seit
Jahren um die Zahlung einer monatlichen Rente von 129 Euro im Monat.

Das Opferentschädigungsgesetz, das Betroffenen eigentlich schnelle
Hilfe für körperliche, wirtschaftliche, aber auch psychische Schäden
leisten soll, stammt aus dem Jahr 1976 und gilt unter Experten und
Politikern als dringend reformbedürftig. Kritisiert wird nicht nur,
dass bestimmte Gruppen wie Stalking-Opfer bisher keine Ansprüche nach
dem Gesetz haben. In der Praxis haben Opfer zudem häufig mit
bürokratischen Hindernissen und langer Bearbeitungsdauer zu kämpfen.

In Deutschland gibt es pro Jahr rund 200.000 Gewaltopfer. Nur 10
Prozent aller Betroffenen stellen überhaupt einen Antrag auf




Opferentschädigung. Nach Recherchen von "Report Mainz" werden immer
weniger Anträge auf Opferentschädigung positiv beschieden. Im Jahr
2010 wurden bundesweit 43 Prozent der Anträge anerkannt, im Jahr 2013
waren es nur noch 36 Prozent. Ob Opfer zu ihrem Recht kommen, hängt
davon ab, in welchem Bundesland die Gewalttat stattfand. Während die
Behörden in Sachsen-Anhalt 65 Prozent aller Anträge stattgeben, sind
es in Niedersachsen nur 26 Prozent (Durchschnitt der Jahre 2010 bis
2012).

Die Politik hat die massiven Schwächen des Gesetzes erkannt.
Bereits 2007 forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, bis zum
Jahr 2008 einen Gesetzesentwurf zu einem "modernen sozialen
Gewaltopferentschädigungsrecht" vorzulegen. 2010 bezeichnete ein
hoher Beamter des Bundessozialministeriums das Gesetz öffentlich als
"nicht mehr zeitgemäß und praktikabel", "intransparent". Da es kaum
bekannt sei, sei es auch nicht wirksam. Erst weitere drei Jahre
danach haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag versprochen,
das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu
bringen. Auf Nachfrage von "Report Mainz" räumte nun das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein, ein Gesetzentwurf
komme erst im Jahr 2015. Es sei zudem mit einer "mehrjährigen
Ãœbergangszeit zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten des Gesetzes"
zu rechnen. Damit deutet sich an, dass in dieser Legislaturperiode
kein neues Gesetz wirksam wird.

Dazu der Kriminologe Pfeiffer im "Report Mainz"-Interview: "Damit
wird der Koalitionsvertrag gebrochen [...]. Es ist überhaupt nicht
akzeptabel, dass die Bundesregierung uns erst große Hoffnung macht,
den Opfern Hoffnungen macht, den Opferverbänden Hoffnungen macht und
jetzt signalisiert, naja, es wird wohl in dieser Legislaturperiode
nicht mehr in Kraft treten können. Das geht nicht." Ähnlich sieht
dies die Bundesvorsitzende des "Weißen Rings" Roswitha
Müller-Piepenkötter: "Seit Jahren spricht das Ministerium davon, das
Gesetz ändern zu wollen, seit Jahren werden immer wieder Workshops
durchgeführt, es wird aber nicht gesagt, was man vorhat. Es werden
Andeutungen gemacht, es werden Gespräche mit Einzelnen geführt, ich
empfinde das da als Geheimniskrämerei."

Weitere Informationen unter www.reportmainz.de. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Pressekontakt: "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.


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Datum: 16.12.2014 - 13:41 Uhr
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