(ots) - Es könnte der letzte runde Holocaust-Gedenktag
sein, bei dem Ãœberlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau
anwesend sind. Die Zeitzeugen der schlimmsten Nazi-Verbrechen werden
weniger. Umso stärker sollte die Erinnerung am Leben gehalten werden.
Doch die Gedenkveranstaltung am Dienstag in Polen läuft Gefahr, wegen
der Krise zwischen Europa und Russland ihre Würde zu verlieren. Am
27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ in Auschwitz.
Normalerweise ist der russische Staatspräsident Ehrengast Nummer
eins. Aber was ist schon normal, seitdem Russland die Krim annektiert
hat, im Osten der Ukraine militärisch aktiv ist und sich mit dem
Westen überworfen hat? Darf Wladimir Putin da noch symbolisch als
Befreier Europas auftreten? Ja, das sollte er. Putin wird in
Auschwitz fehlen, wenn sich Staatsoberhäupter, Regierungschefs und
Monarchen treffen. Dass Putin nicht teilnimmt, hat zwei Gründe. Der
russische Präsident hätte, so heißt es aus dem Kreml, eine offizielle
Einladung Polens erwartet. Allerdings richtet nicht die Regierung die
Gedenkfeier aus, sondern das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau.
Und von dort verlautet, es gebe keine persönlichen Einladungen. Das
wirkt fadenscheinig, zumal Polen gut auf den Besuch aus Moskau
verzichten kann. Das polnisch-russische Verhältnis ist seit dem
Ukraine-Konflikt belastet. Andererseits dürfte es Putin ebenso gut
passen, den beleidigten Herrscher im Kreml zu spielen. So kann er
sich seinem Volk als Opfer des Westens darstellen und so tun, als
gehöre die Nicht- Einladung zu den Sanktionen. Der Westen und
Russland verpassen in Auschwitz-Birkenau eine große Chance, sich ein
Stück anzunähern. Das ist schade. Der Holocaust-Gedenktag ist in
diesem Jahr überschattet von den Morden an Juden in Brüssel (24. Mai
2014, vier Tote beim Attentat auf das Jüdische Museum) und Paris (9.
Januar 2015, vier Tote beim Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt).
Man muss es so sagen: Das Europa von heute ist kein sicherer Ort mehr
für jüdisches Leben. In Israel wird diese Entwicklung sehr genau
beobachtet. Was Auschwitz für den jüdischen Staat bedeutet: Nie
wieder! Das kleine Land zeigt sich entsprechend wehrhaft gegen akute
Bedrohungen. Der »Islamische Staat« (IS) strebt nach Jerusalem und
will den Tempelberg befreien. Und der Iran kämpft für Syriens
Machthaber Assad auf dem Golan. Die Bedrohung ist konkret, auch die
iranische. Darauf wird Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in seiner
Rede am 11. Februar vor dem US-Kongress deutlich hinweisen. Nach dem
Verlust von sechs Millionen jüdischen Leben durch den Holocaust muss
man verstehen, dass Israel eine Wiederholung mit allen Mitteln zu
verhindern sucht. Im Denken der Israelis stehen wieder sechs
Millionen jüdische Leben auf dem Spiel.
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Andreas Kolesch
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