(ots) - Vier Jahre Haft für die Beihilfe zum Mord an
300 000 Menschen - ist das nicht grotesk wenig? Vier Jahre Haft
für einen kranken 94-Jährigen, der seine moralische Schuld bekannt
hat, der Reue äußerte und dem direkte Beteiligung an Morden nicht
einmal vorgeworfen wurde - ist das nicht unangemessen angesichts all
der größeren Verbrecher, die unbehelligt blieben? Das sind Fragen,
die sich kaum befriedigend beantworten lassen, denn ein Strafmaß, das
zum industriell organisierten millionenfachen Mord passt, existiert
nicht.
Deshalb ist das genaue Urteil gegen den ehemaligen SS-Mann, der in
Auschwitz als Buchhalter ein kleines Rädchen war im großen
KZ-Vernichtungswerk, zweitrangig. Entscheidend ist, dass ein
Schuldspruch erfolgte, obwohl ihm keine spezifische Einzeltat
nachgewiesen wurde. Er war nur dabei. Das reicht. Das reicht
deutschen Gerichten allerdings erst, seit 2011 der Sobibor-Wachmann
John Demjanjuk verurteilt wurde. Das ist ein radikaler juristischer
Wandel, den man rechtsphilosophisch durchaus für problematisch halten
kann. Doch beim einzigartigen Verbrechen Holocaust hätte diese
Rechtsauffassung, wäre sie schon vor Jahrzehnten die herrschende
gewesen, zur Verurteilung hunderter Täter führen können, die Teil der
Mordmaschinerie waren.
Lange wollten die Juristen das nicht, und lange wollte das wohl
auch die deutsche Gesellschaft nicht. Das hat sich geändert. Dafür
ist das Urteil ein Symbol. Natürlich kommt das alles viel zu spät.
Doch frühere Versäumnisse rechtfertigen keine weiteren. Besser jetzt
als nie. Noch immer leben Täter, und noch immer leben Opfer, die
eindrucksvoll aussagten. Das ist Munition gegen die alten und neuen
Holocaust-Leugner. Deshalb war der Prozess wichtig für gestern, heute
und morgen.
Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion
Telefon: 02331/9174160