(ots) - Angesichts der dramatisch steigenden Zahl neuer
Flüchtlinge erwarten Experten und Politiker einen immer heftigeren
Konkurrenzkampf um bezahlbaren Wohnraum, vor allem in den deutschen
Ballungszentren. Das berichtet das ARD-Politikmagazin "Report Mainz"
(heute, 25.8., 21.45 Uhr im Ersten). Im Interview sagte der
Wirtschaftswissenschaftler Matthias Günther, der sich als Leiter des
Hannoveraner Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung intensiv mit
den Chancen einkommensschwacher Menschen auf dem Wohnungsmarkt
beschäftigt: "Die ganzen Flüchtlinge, die im Moment in den
Übergangseinrichtungen sind, kommen eigentlich erst nächstes Jahr so
richtig auf den normalen Wohnungsmarkt. Wie es gelingen kann, diese
Menschen in den normalen Wohnungsmarkt zu integrieren, ist mir im
Moment ein Rätsel. Bei dem gegenwärtigen Bauniveau ist klar mit einer
Verschärfung der Konkurrenzsituation zu rechnen."
Günter Burkhardt, Geschäftsführer und Mitbegründer von "Pro Asyl",
sagte gegenüber "Report Mainz": "Die Politik hat lange Jahre die
Augen davor verschlossen. Vor der Tatsache, dass sozialer bezahlbarer
Wohnraum generell für Menschen mit geringem Einkommen in den
Ballungsräumen fehlt. Niemand kann eine Konkurrenz wollen zwischen
den Schwächsten der Schwachen." Der Tübinger Bürgermeister Boris
Palmer (B'90/ Die Grünen) sagte im Interview: "Das ist genau die
Gemengelage, aus der Sprengstoff entsteht, auch sozialer
Sprengstoff."
Flüchtlinge haben zwar keinen Rechtsanspruch auf eine eigene
private Wohnung, solange ihr Asylgesuch nicht positiv entschieden
ist. Dennoch nutzen viele Kommunen ihren Ermessensspielraum und sind
bestrebt, Asylbewerber - meist nach drei Monaten - dezentral
unterzubringen, aus humanitären Gründen, aber auch um Notunterkünfte
zu entlasten. Vor dem Hintergrund der stetig fallenden Zahl an
Sozialwohnungen wird dies jedoch immer schwieriger. Deren Zahl ist
zuletzt von bundesweit rund 2,5 Millionen im Jahr 2002 auf 1,5
Millionen (2013) gesunken. Bundesbauministerin Barbara Hendricks
(SPD) hatte daher eine Verdoppelung der jährlichen Fördersumme des
Bundes von rund 500 Millionen auf eine Milliarde Euro an die
zuständigen Bundesländer angekündigt und diese aufgefordert, die
Gelder tatsächlich in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Ob und
wie viel Geld die Bundesländer allerdings bisher zweckentfremdet
haben sollen, konnte das Bundesbauministerium auf Nachfrage von
"Report Mainz" nicht erklären.
Eine Umfrage des Magazins unter allen Bundesländern hat ergeben,
dass mindestens zwölf von 16 Bundesländern für sich in Anspruch
nehmen, die Fördergelder bisher zweckgemäß eingesetzt zu haben.
Einige Länder wie Bremen räumen allerdings ein, das Geld auch für die
Finanzierung bereits bestehender, älterer Wohnraumförderprogramme
genutzt zu haben. Erst 2012 seien damit komplett neue Projekte
gefördert worden. Ein klares Bekenntnis, die Gelder auch weiterhin
eins zu eins in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, gaben nur
fünf Bundesländer ab: Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen,
Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Zu Beginn des vergangenen Jahres
war die Zweckbindung gelockert worden. Auf die Anfrage von "Report
Mainz" nicht reagiert haben die Länder Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Das Magazin fragte die Bundesländer auch nach Vermittlungshilfen
für wohnungssuchende Asylbewerber. Diese gibt es bereits in den
Stadtstaaten Bremen und Berlin. Dort werden in zentralen
Anlaufstellen Flüchtlinge bei Behördengängen oder bei der
Wohnungsbesichtigung umfassend beraten und begleitet. Ergebnis der
Umfrage: Alle elf der 16 Bundesländer, die "Report Mainz" geantwortet
haben, sehen grundsätzlich die Städte und Gemeinden bei der
Wohnungsvermittlung in der Pflicht. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern
stellen allerdings den Kommunen nach eigenen Angaben Gelder zur
Verfügung, die für diese Zwecke genutzt werden könnten. Das Saarland
finanziert die Stellen von hauptamtlichen Asylbegleitern, die
Asylbewerbern bei der Orientierung in der neuen Wohnung und bei
Behördengängen helfen. Schleswig-Holstein will derzeit "Maßnahmen"
erarbeiten, um die Wohnungsvermittlung effizienter zu gestalten.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer bekräftigte in "Report
Mainz" seine Pläne, notfalls Wohnraum für Flüchtlinge zu
beschlagnahmen. Er bekomme nun viele Hassmails "mit ganz viel brauner
Soße" aus ganz Deutschland. Er räumte allerdings auch eigene
Versäumnisse in der Vergangenheit ein, etwa im Kampf gegen den
Wohnungsleerstand. Wörtlich sagte er: "Niemand in Deutschland hat es
richtig gemacht. Niemand hat vorher gesehen, wie viele Menschen zu
uns kommen. Wir reagieren jetzt immer nur hinterher. Wir lösen
Probleme, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Das ganze System ist
aus den Fugen geraten."
Weitere Informationen unter www.reportmainz.de. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Pressekontakt: "Report Mainz",
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