(ots) - Nicht nur Westfirmen wie Ikea, Quelle und Aldi haben
von der Zwangsarbeit politischer Gefangener in der DDR profitiert.
Auch große Chemiekonzerne der BRD wie Hoechst, BASF und Bayer bezogen
Erzeugnisse aus DDR-Betrieben, die politische Häftlinge zur
Zwangsarbeit einsetzten. Das berichtet das ARD-Politikmagazin "Report
Mainz" (heute, 6. Oktober, 21.45 Uhr, im Ersten) auf Grundlage
umfangreicher eigener Archivrecherchen im Bundesarchiv Berlin und
Koblenz, im Stasi-Archiv sowie im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt
und unter Berufung auf Aussagen von Zeitzeugen.
"Report Mainz" legte die Recherchen dem Geschichtswissenschaftler
Justus Vesting (Universität Halle) vor, der seit Jahren zu
Zwangsarbeit in der DDR-Chemiebranche forscht und dazu 2012 die
Studie "Zwangsarbeit im Chemiedreieck - Strafgefangene und
Bausoldaten in der Industrie der DDR" veröffentlicht hat. Seine
Bewertung: "Durch die Akten, die "Report Mainz" mir vorgelegt hat,
lässt sich jetzt erstmals belegen, dass auch große westdeutsche
Chemiekonzerne von der Arbeit von Strafgefangenen im Chemiedreieck
profitiert haben. Sie haben Produkte in Millionenhöhe bezogen, die in
der DDR auch durch Strafgefangene hergestellt worden sind."
Aus DDR-Akten geht hervor, dass der Hoechst-Konzern 1976 ein
Milliarden-Geschäft mit der DDR abgeschlossen hatte. Hoechst lieferte
laut Akten über eine Tochterfirma eine Produktionsanlage an die DDR -
und erhielt im Gegenzug acht Jahre lang u. a. Chemikalien aus der DDR
für rund 250 Millionen D-Mark. Aktenfunde von "Report Mainz" belegen
jetzt, dass Häftlingszwangsarbeiter den giftigen Quecksilber-Schlamm
aus der Anlage, die für Hoechst produzierte, aufbereiten mussten.
Zeitzeuge Hans-Thilo Kempen hatte den Anlagenbau auf Seiten von
Hoechst als kaufmännischer Projektleiter mit betreut. Er hält es
heute für einen Fehler, dass Hoechst in einer Diktatur produzieren
ließ, und erklärte zur damaligen Motivation von Hoechst: "Der Vorteil
für Hoechst war, dass Hoechst die Produktion nicht aus einem Land
heraus gestalten musste, das hohe Umweltauflagen hatte. Sondern aus
einem Land, das man als Diktatur bezeichnen konnte."
Auch Bayer und BASF waren laut Akten mit der DDR in der Ära
Honecker im Geschäft. BASF bezog in den 70er Jahren Chemikalien und
Produkte im Wert von jährlich rund 30 Millionen D-Mark. Der frühere
Generaldirektor des Chemiekombinats Bitterfeld von 1971-1983, Heinz
Schwarz, bestätigte im Interview mit "Report Mainz": "In der BRD
waren unsere drei Hauptabnehmer von Bitterfelder Chemikalien die
BASF, Bayer und Hoechst. Die Billigpreisgestaltung der DDR haben sie
ausgenutzt. Wenn sie in westeuropäischen Ländern gekauft hätten,
hätten sie das Anderthalbfache bezahlen müssen."
Im Chemiekombinat Bitterfeld wurden laut Historiker Justus Vesting
rund 500 Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt. Sie erwirtschafteten
in den 80er Jahren für die DDR jährlich rund eine Milliarde Mark. Dr.
Tobias Wunschik, Wissenschaftler der Stasi-Unterlagenbehörde,
erklärte: "Im Chemiekombinat Bitterfeld kamen besonders viele
politische Häftlinge zum Einsatz, sie wurden hier für Tätigkeiten
herangezogen, für die gewöhnliche Werktätige sich nicht mehr gewinnen
ließen, weil die Gesundheitsgefahren einfach zu groß waren. Gefangene
ließen sich hingegen beliebig einsetzen, sie waren gezwungen, solche
Tätigkeiten zu verrichten." In Bitterfeld war die Arbeit besonders
gesundheitsgefährlich, es gab kaum Arbeitsschutz, und die Gefangenen
mussten an völlig veralteten, maroden Maschinen arbeiten. Hier kam es
wegen der katastrophalen Arbeitsbedingungen sogar zu Todesfällen:
Anfang der 1980er Jahre starben zwei politische Häftlinge an
Quecksilbervergiftungen.
Auf Anfrage erklären die Nachfolgeunternehmen der Firma Hoechst,
Celanese und die zu Sanofi-Aventis gehörende Hoechst GmbH, man wolle
den Vorwürfen nachgehen. Bayer und BASF geben Handel mit der DDR zu.
Sie erklären jedoch, man habe damals von Häftlingsarbeit nichts
gewusst. Dabei waren nach Recherchen von "Report Mainz" bereits
Anfang der 1980er Jahre Artikel über das "Todeskommando Bitterfeld"
und Häftlingsarbeit in der DDR-Chemiebranche in großen westdeutschen
Zeitungen wie der "Welt" und der "Bild am Sonntag" erschienen - sogar
auf der Titelseite. Deswegen sieht die Stasi-Unterlagen-Beauftragte
von Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, eine Mitschuld bei den
Westkonzernen und fordert eine Wiedergutmachung für die Opfer der
Zwangsarbeit: "Meine Kritik besteht darin, dass die Chemiekonzerne
nicht genug nachgefragt haben. Dass Handel getrieben worden ist mit
dieser Diktatur in der DDR, ohne nach Menschenrechtsbedingungen zu
fragen, und daran liegt dann auch eine Mitverantwortung an
Menschenrechtsverletzungen."
(Das Erste sendet am 12. Oktober um 23.30 Uhr die Dokumentation
"Ausgebeutet für den Klassenfeind - Wie DDR-Zwangsarbeiter für
Westfirmen leiden mussten".)
Weitere Informationen unter www.reportmainz.de. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Pressekontakt: "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.