(ots) - Privatschulen vertiefen die soziale Spaltung der
Gesellschaft. Diese Ansicht vertritt der Berliner Philosoph
Karl-Friedrich Wessel im Interview mit der in Berlin erscheinenden
Tageszeitung "neues deutschland" (Samstagausgabe). Bis auf wenige
Ausnahmen verfügten die privaten Bildungseinrichtungen über kein
tragfähiges Konzept, so der ehemalige Hochschullehrer der Berliner
Humboldt-Universität weiter. Kritik übt Wessel auch an der
Neugestaltung der Lehrpläne in einigen Bundesländern, die eine
Abschaffung von Einzelfächern zugunsten eines disziplinübergreifenden
Gemeinschaftsfaches. Wenn an die Stelle von Physik, Chemie und
Biologie "eine Art Naturkunde" trete, verlören die
Naturwissenschaften und die systematische Bildung zunehmend an
Bedeutung.
Ein weiteres Problem im deutschen Bildungswesen, so Wessel weiter,
sei die "viel zu frühe Trennung der Schüler". In der vierten Klasse
lasse sich noch nicht absehen, "über welche Kompetenzen ein Kind
verfügt. Der Kern einer Persönlichkeit braucht Zeit zum Reifen." In
diesem Punkt sei die DDR, in der die Schüler gemeinsam bis zur
zehnten Klasse lernten, weiter gewesen. "Es mag paradox klingen, aber
in der DDR waren die Bedingungen für die Individualentwicklung nicht
schlechter als heute. Ich würde sogar sagen, sie waren teilweise
besser. Denn man darf nicht vergessen, dass das Scheitern auf dem
Gymnasium die Seele eines Kindes oft irreversibel beschädigt. Und
auch die üblichen Prestigekämpfe von Eltern um die gymnasiale
Tauglichkeit ihrer Kinder sind mit einem humanistischen Bildungsideal
schwer zu vereinen."
Karl-Friedrich Wessel (Jg. 1935) begann seine berufliche Laufbahn
als Berufsschullehrer. Nach seiner Habilitation lehrte er bis zu
seiner Emeritierung an der Berliner Humboldt-Universität. Von 1990
bis 2000 leitete er dort das von ihm mitgegründete Institut für
Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik.
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